Der Implex
alles Künstlerischen gewählte Ausdruck »Haltungen« gefällt uns eine Spur besser als Rands »metaphysical value judgments«, aber im Bereich der Benennung soll es gern geben, was sich auch sonst aus Kunstfragen schwer austreiben läßt: Geschmacksentscheidungen.
Kunst behauptet Welten sinnlich, um ihre sonstigen, spezifischen Behauptungen weltlich zu versinnlichen – der Surrealismus hat nicht deshalb gezündet, weil da irgendwelche Leute ihren Mitmenschen Träume erzählten oder aufmalten, was jenen herzlich gleichgültig gewesen wäre, sondern weil sich diese Kunst aufführte, als böte sie tatsächliche modale Fenster für den Einblick in eine Welt, die wirklich ein Traum war. »Eine Welt« aber ist eben nichts Subjektives oder Zufälliges, und um die von so einem Weltgesamten gehaltene Objektivität des Traumgeschehens, das sonst subjektiv, beliebig, uninteressant wäre, geht es bei Picabia, Breton, Buñuel.
Ähnlich erregten Konstruktivismus, Impressionismus oder Kubismus nicht deswegen ihre jeweiligen Öffentlichkeiten, weil da Farben oder Formen plötzlich in nie gekannter, aber radikal vom Eigensinn der Kunstschaffenden diktierter Weise antimimetisch, antireferentiell, antirealistisch eingesetzt wurden, sondern weil die Malerei, einmal in Mittel wie Farben und Formen zerlegt, in ihren inneren Maßverhältnissen neu kalibriert werden konnte, um eine Welt zu zeigen, die kubistisch, impressionistisch, konstruktivistisch konstituiert war. Dieser Weg über die Bearbeitung isolierter Arbeitsmittel, Wiederholung des Schrittes von der Alltagserfahrung zur künstlerischen im Binnenraum der Kunst selbst, war in der entscheidenden Phase des Modernismus wohl der moderne Weg schlechthin, bei jüngeren Künsten als der Malerei, etwa dem Kino oder der Rockmusik, dauerte es dann unter der Fuchtel allgemeiner kapitalistischer Zeitregimes mitunter nur noch ein Menschenalter, bis dieser Weg eröffnet wurde, Albert Aylers berühmter Satz von der Musik, die nicht aus Noten, sondern aus Klängen bestehe, bezeichnet ebenso einen solchen Schritt (der sich kaum noch daran erinnert, daß schon die Musik aus Noten gegenüber der nicht vom Gedicht getrennten Musik einer war, der sich ihm vergleichen läßt) wie die Geburt der modernen Lyrik aus der Einsicht, daß man Gedichte nicht aus Stimmungen, nicht einmal aus Sätzen, sondern aus Worten (und bei Dada dann: Silben) macht. In New York, London, Tokio und Berlin wurde in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts die Rockmusik gerade zu dem Zeitpunkt zunächst auf ihre Effekte reduziert und dann als andere Rockmusik neu erfunden, deren Zeit-, Rhythmus- und Raumerleben sich von demjenigen der Welt, die in den Fünfzigern, Sechzigern und Siebzigern »Rock« oder ähnlich geheißen hatte, radikal unterschied, als mit Hip Hop und Techno bereits die nächste Phase zu sich zum Kommen begann, die mit Synthese, Sampling, auch Lyrik ihre eigenen Radikalisierungen ins Werk setzte. Wenn Popmusik als etwas gedacht werden kann, das aus Geräuschmonaden zusammengesetzt ist, die eine Welt des Glücks suggerieren (eine spezifisch soziale, etwa tribale, sexuelle …), dann kann man diese Bausteine aus den damit bislang aufgemachten Welten herausbrechen und neu arrangieren, um andere Welten herzustellen, oder »eine Ebene tiefer« die klangerzeugenden technischen Dispositive der Musikapparate selbst anders zueinander in Beziehung setzen, als das vor dem elektroakustischen Digitalismus möglich war. Visuelles, Akustisches, Statisches, Bewegtes, Sprachliches, Nichtsprachliches, Syntaktisches, Semantisches, Grammatisches, Gesamtkunstwerk, Einzelmomente: Wir scheinen schon vom Film zu sprechen; also sollten wir das jetzt auch explizit tun.
III.
Love Song for Stan Brakhage: Ein mediengeschichtlicher Exkurs
Es ist, als würde sichtbar gemacht, was ein Stern spürt, wenn er über sein Leuchten nachdenkt: Schwarz auf knochenweiß liest man »Mothlight«, dann ahnt die Netzhaut pfefferminzgrüne Pflanzenzacken. Unruhige Äderchen legen sich auf Zimtlandschaften, eine safranrote Maserung weicht zurück vor Hirschkäfern, die ihre Geweihbäume ineinanderschieben, bis sich blaue Lider überm Anblick schließen. Ein Blinzeln. Wir sehen Fluchtlinienschrapnell, wie in Anime-Action-Szenen; alles saust weg in eine Ferne, in der das Pulsieren des Bildrhythmus zum Punkt zusammenschrumpft. Ein krikelkrakeliger Schriftzug erscheint: »By Brakhage«, damit wir wissen, wer der Künstler war, der uns da eben mit
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