Der Implex
amerikanische Schriftsteller Mark Z. Danielewski, der sich um Anmutung und Gestaltung seiner in Typographie, Umschlägen, Internet-Vermarktung und kanonischen Kontext seiner Werke mindestens so viele und so präzise Gedanken macht wie Kunstschaffende aus dem visuellen Bereich um ihre Kataloge und Künstlerbücher, hat in kurzem zeitlichen Abstand zwei gleich reiche, gleich komplexe, gleich avantgardistische Bücher geschrieben, bei denen es beide Male um Totalitäten sensu Hegel oder Lukács geht; viel mehr kann man in die Romanform, die einiges aushält, nicht hineinpacken, als er das in House of Leaves (2000) und Only Revolutions (2006) getan hat, und obwohl also äußerlich die Maßgaben des Genres »avantgardistisches Monsterbuch«, gesetzt in der Hochmoderne von Bänden wie Gertrude Steins The Making of Americans , Pounds Cantos oder Joyces Finnegans Wake , in geradezu vorbildlicher Weise erfüllt waren, erzielte House of Leaves bei Kritik und Publikum, in Amerika wie im Ausland, schönste Erfolge, während Only Revolutions nach wenigen Leuchtpulsen vom Radar verschwand – der erste Roman, den wir im achten Kapitel schon kurz kennengelernt haben, ist eine neo- gothic novel über ein Haus, das innen größer ist als außen, ein Buch, in dem der Durchgang zum gesammelten Weltwissen des Verfassers über Raum und Zeit als kantische Kategorien der Anschauung erschlossen wird und »Gesellschaft« als theologisches Szenario vorkommt, in dem »die anderen« Hölle, Fegefeuer und Paradies sind; der zweite dagegen erzählt gleichzeitig die Liebesgeschichte zweier niemals alternder, am Ende jedoch todgeweihter archetypischer Teenager, des amerikanischen zwanzigsten Jahrhunderts, der Idee und Wirklichkeit des Werdens im Unterschied zum Sein und dreitausend anderer Dinge, die eine Geschichte haben oder haben sollten. Das erste Buch bietet so ein überschaubares Geschehen in überschaubaren Zeitrelationen, das zweite ein überschaubares, das der Zeit selbst enthoben sein will. Auch im ersten Buch kommt »alles« vor, vermittelt aber ist dieses alles über eine Form, die sich klein macht, im zweiten ist alles über alles vermittelt – an den sprachlichen Einzelschönheiten kann man den Unterschied sogar quantifizieren: Das zweite, erfolglose Buch hat mehr davon, nur sind es eben fürs Empfinden (und Kritisieren) zu viele, weil sie sich nicht an etwas schmiegen, dem man »folgen« kann (oder will), wer immer »man« dann im einzelnen ist.
Die Lehre der kleinen Differenz zwischen jenen beiden großen Entwürfen und ihren Verwirklichungen ist nicht, daß Danielewski in seiner Zweiten Symphonie die ökonomischen Aspekte der techne etwa hätte vermissen lassen, sondern daß man beim Kunstmachen nie vergessen (und das Publikum nie vergessen lassen) darf, daß die Künste nicht die Welt oder Kenntnisse von ihr vermitteln, sondern Haltungen zur Welt, über Auswahl und Inbeziehungsetzen von Weltelementen, die so zueinander gruppiert werden, daß in ihrer Anordnung diese Haltung (also etwas Normatives, ein assortment epistemologischer Vorlieben) sinnlich (im Visuellen sagen sie gern: anschaulich) erfahrbar wird.
Hier liegt auch die Gefahrenquelle im Konzept des »Gesamtkunstwerks«, gegen das sich deshalb Leute, die das Klassische schätzen, zu allen Zeiten, die derartige Debatten überhaupt erlaubten, ausgesprochen haben, mitunter scharf und streng: Jedes Kunstwerk ist ohnehin ein Gesamtkunstwerk nach seiner Gerichtetheit auf reine Bedeutsamkeit, jedes Kunstwerk meint das Gesamte einer spezifischen Art und Weise, die Welt zu erfahren. Wer in der Neuzeit überhaupt je die künstlerische techne geschätzt hat, schließt sich in diesem Punkt Aristoteles an – es mag eine radikale Liberale wie Ayn Rand sein, die nicht müde wurde zu wiederholen, Kunst sei »the selective re-creation of reality according to an artists metaphysical value-judgments« (Zwischenrufe sind überflüssig, man muß nicht lange klären, was das denn sei, reality, metaphysics oder value, mit Wittgenstein und der ordinary language philosophy darf man hier einfach darauf verweisen, daß diese Begriffe im Gebrauch sind und man ihren Gebrauch kennen kann), oder ein Faschist wie Ezra Pound, der empfiehlt, »es neu zu machen«, und dazu erklärt, »es« sei eben alles, oder ein überzeugter Kommunist wie Peter Hacks, der lehrte: »In der Kunst hören die Dinge auf, zu sein, und fangen an, zu bedeuten.« Der von Hacks für die kognitive Möglichkeitsbedingung
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