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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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low-level- Kommunikationserwartung des Menschenhirns (das Menschliche, auf dem wir hier herumreiten, ist kein Metaphysikum. Es meint einfach die statistische Wahrheit, daß ein Hund, den man durchs Museum laufen läßt, jedenfalls seltener vor einem prächtigen Tafelbild stehenbleibt, um es zu betrachten, als ein Mensch und den Unterschied zwischen einer mit Bedacht irgendwo aufgestellten Holzskulptur einerseits, einem zufällig dahin geratenen Baum andererseits nicht besonders beachtenswert findet). Das Hirn ist ein Apparat zum Erkennen, Unterscheiden, Vergleichen und Speichern von Mustern, der seine spezifischen Leistungsschwächen hat und beispielsweise auf Sensorisches angewiesen ist, welches er sonst (weil es nun mal sein Job ist, Daten abzugleichen) zur Not selbst spinnt: Sensorische Deprivation führt allgemein zu Halluzinationen, ein berühmtes Einzelsinnbeispiel sind die Formen und manchmal Farben, die man in völliger Dunkelheit sieht. Sozial macht sich dies zum Beispiel in etwas bemerkbar, was Redakteurinnen in den Medien als »Freie-Mitarbeiter-Syndrom« kennen und fürchten: Kommuniziert man nicht mit den unterbezahlten Abhängigen, die nicht in den Büros der Institutionen (Sender, Blätter, Websites), die sie beliefern, verkehren, teilt man ihnen nicht jeden Schritt mit und läßt sie auch nur ein bißchen im Unklaren darüber, was mit ihrem Artikel, ihrem Foto, ihrer Zeichnung, ihrem Soundfile geschieht (und oft genug läßt es sich nun mal nicht vermeiden, Funkstille zu halten, weil die Arbeitsabläufe und Zeitverhältnisse an solchen Orten ständig Unschärfen, Verzögerungen et cetera hervorbringen), dann geht im Verstand auch der Gutwilligsten die Suche nach in der Sache begründeten Anlässen fürs Warten los – was hat man da gegen mich, gegen meine Arbeit, wer verhindert da was, wo und wann habe ich etwas falsch gemacht? Der normale menschliche Schlendrian oder einer von zehntausend denkbaren Wechselfällen: Das können die Gründe nicht sein; das Hirn funktioniert nicht bayesianisch, es sucht nach Mikrokausalitäten und Strukturen, was mir im Sozialen geschieht, denkt das Individuum, muß nicht nur einen Grund haben, sondern auch ein anderes Individuum oder mehrere als Verursachende. Die Kunst nutzt das für eine Art unmarkierter Kommunikation aus, man verlängert selbst bei aleatorisch zustande gekommenen, unsignierten oder anders nichtsubjektförmig entstandenen Sachen gleichsam intuitiv zu: Das soll mir etwas sagen, das ist gemacht worden, damit ich dies oder jenes denke oder empfinde, das verweist auf etwas, das erwartet von mir Erwartungen. Die Künste leisten auf Reiz-Reaktions-Ebene das, was diverse Sekten für ihre Meditations- und anderen Psychotechniken behaupten: Nutzung der ungenutzten Teile des Gehirns, Ansprache an sie. Das Bewußtsein wird dadurch zwar nicht, wie die Phrase sagt, »erweitert«, dafür aber wenigstens nicht so arg unterfordert wie sonst – schon das entbindet eine kunstspezifische Form von jouissance, welche die Psychoanalyse ganz richtig »Funktionslust« nennt.
     
    2. Kunsterfahrungen unterminieren, wenn man auf sie reflektiert, in sehr grundsätzlicher Weise den »Mythos des Subjektiven« (Davidson), das heißt, sie widersprechen dem Glauben, das, was ich sinnlich erfahre, sei mir irgendwie unmittelbarer gegeben als das, was irgendwo draußen wirklich der Fall ist – sie sind, wenn gestattet ist, den Heideggerschen Ausdruck positiv zu wenden, reichhaltig uneigentlich, weil man, wenn man sie macht, a) nicht denken muß: »Das ist x«, sondern b) denken darf: »Das meint x« – selbst wenn »x« die Verweigerung der Mitteilung wäre, die Sprachpragmatik hat nämlich recht, »man« (also auch die Kunstschaffenden) kann nicht nicht kommunizieren. Aus beidem folgt, daß das, was da gesagt wird, mich, der es erfährt, nicht in der Weise betrifft, in der meine Erfahrungen mich eigentlich betreffen sollten – es ist »nicht wirklich«. Das einfachste und zugleich schlagendste Beispiel für Tiefe und Reichweite dieses Umstands sind Leidensdarstellungen oder überhaupt Unangenehmes. Die musikalische Dissonanz ist selbst dann, wenn sie Ausdruckscharakter und Mitteilungswert hat, ja Wahrheitswert haben soll wie eine Proposition, etwas anderes als ein erlebtes auditorisch-kognitives Trauma; aus der Aufführung von Schönbergs Ein Überlebender aus Warschau kann ich mich verabschieden, wenn es mir zu nahe geht, aus der Erfahrung, ein Überlebender aus Warschau zu

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