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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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macht sich nichts aus nichts, aber sie kann fast alles aus fast allem (sogar aus Kunst) machen. Dieses »alles für alles« macht auch die Kunstkritik zu etwas, das innen größer ist als außen: Wenn sie wirklich etwas Wichtiges über Kunst sagt, sagt sie immer auch über Dinge Wichtiges, die etwas anderes sind als Kunst, und wer Carl Einstein, Clement Greenberg, Rosalind Krauss, T.J. Clark oder Adorno als Koryphäen des Fachjournalismus sehen will, muß schief gucken. Was Alfred Sohn-Rethel mit seiner maliziösen Bemerkung sagen wollte, Adorno habe eigentlich von Wirtschaft, Politik und ähnlichem nichts verstanden, ausgenommen seine »ästhetischen Provinzen«, in denen er sich ausgekannt habe, versteht man dennoch: Beim Schreiben über Musik hätte er sich wohl nie bei der Sorte Gemeinplätze erwischen lassen, die er zu stark unterbestimmten Begriffsansätzen wie der »verwalteten Welt« in Druck gegeben hat; der Mann, der mehreren Generationen von gesellschaftskritischen, akademisch ausgebildeten Deutschen den Ton vorgab und der zeit seines Wirkens lehrte, man dürfe bei der Kunstbeurteilung und -analyse niemals vom Allgemeinen zum Besonderen schließen, sondern dürfe umgekehrt selbst die höchsten Abstraktionen ästhetischer Theorie nur durch die Eigenbewegung von Konkretionen hindurch gewinnen, redete nicht von Militärischem, nicht von Streiks, Lohnkürzungen, Wahlen, und wenn er die DDR angriff, dann ging es nicht um die Normerhöhungen für Arbeiter vor dem berühmten 17. Juni, sondern um Kunstfreiheit, Gedankenfreiheit, um die Zensur modernistischer Kunst. Und doch: In wenigen Absätzen der Philosophie der Neuen Musik findet sich mehr soziologisch Erhellendes als in manch soziologischer Fachbibliothek; von den Dingen, von denen die Kunst etwas versteht, und das sind die meisten, verstand Adorno, sobald er zeigen konnte, was er von Kunst verstand, eine Menge. Daß jemand, der sich unter anderem auf Marx beruft, allerdings fürs Kulturelle sehr viel mehr Interesse aufbringt als für Dinge, die Marx beschäftigt haben, bleibt erklärungsbedürftig, ebenso wie der Umstand, daß seit spätestens dem Aufkommen des Imperialismus immer wieder Leute von Kunst, Kunstkritik und Antikunst zur Auseinandersetzung mit der Gesellschaft gelangen – wie paßt in ein linkes, der Aufklärung wie Marx verpflichtetes Bild ineinandergreifender politischer, wissenschaftlicher, philosophischer und künstlerischer Öffentlichkeiten ein Phänomen wie etwa der Situationismus, bei dem mitten im schönsten Systemwettstreit erstaunlich haltbare, diesen Kalten Krieg vergleichsweise intakt überlebende Gedanken von Menschen geäußert wurden, die sich zunächst in den Künsten artikuliert hatten, dann nach Antikünsten suchten, darüber das Bildungs-, das Freizeit-, das Urbanitätsproblem und Verwandtes ins Visier bekamen und sich zu alledem klarer und bei aller scharfen Polemik differenzierter äußerten als alle noch so gescheiten Krahls und Lefebvres? Warum geschah die Wiederbelebung des Marxismus zu Zeiten der wildesten Blüten der sogenannten Postmoderne häufiger entlang Gramscischer als irgendwelcher anderen Linien, über Kulturhegemonietheorien, und warum war Brecht nie so weg wie Lukács? Was hat es mit der »Kulturlinken« (und ihren niedlichen Flossen und Fühlern, der »Poplinken«, der »Lebensstillinken«) in den reichen Ländern des globalen Nordwestens auf sich, wie stehen diese nicht ideologisch, sondern materiell zu Avantgarde und Kulturindustrie? Die Lächler und Bescheidwisserinnen unter denen, die Marx gelesen haben, lassen an dieser Stelle meist das As der Warenformanalyse aus dem Hemdsärmel hüpfen; in den Künsten komme diese auf eine ihre metaphysischen Mucken und Grillen expliziter als sonst ausstellende Art zu sich selbst, weil da kein Gebrauchswert mehr stört – was wir die reine Bedeutungsform, die reine Verweisform, die allen Zweckbestimmungen offene und zugleich gegen jede Heteronomie gestisch gesperrte techne genannt haben, fällt in dieser Betrachtung mit der reinen Warenform unmittelbar zusammen. Der oben erwähnte Sohn-Rethel hat in der Warenform ja schlechtweg das kantische Transzendentalsubjekt erkennen wollen, den primo motore der Bewußtseinsphilosophie, und hat sich im Arbeitsumkreis seines Hauptwerks über »geistige und körperliche Arbeit« auch mit der in die Ware einfließenden techne sowie der Sonderstellung der Künste zu dieser befaßt, etwa im Hinblick auf Wissensökonomien, also die

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