Der Implex
bei Künstlerwissen, das nur gut behauptet sein muß, nicht wahr (»gut erfunden«), deshalb nie sagen, es treffe nicht zu oder sei etwa »Angabe« (»Der Arno Schmidt tut ja nur so schlau«), weil das gleichbedeutend wäre mit dem Satz über eine Musik, die sei ja gar nicht gut, die klinge nur so. Man kann und sollte damit aber auch in den Zustand, in dem noch nicht alles Arbeit war, auch der Kunstgenuß, nicht zurückwollen, denn das romantische Geheimnis der Klage hierüber ist, daß jenes »Alles ist Arbeit geworden« einfach nur heißt: Alles ist vergleichbar geworden, seit die verschiedenen Erfahrungsformen ihre spezifischen Räume bekommen haben. In der Vergleichbarkeit aber scheint zugleich die situationsgebundene, freie Überwindung der Ausdifferenzierung für die freien Menschen selbst auf, ohne daß diese Ausdifferenzierung deshalb zurückgenommen würde: Ich darf selbst mitreden, wo ich jeweils was mache, aber ich kann nicht überall alles machen. Diese Souveränität aber ist nirgends schöner und reichhaltiger entworfen als in den Kunsterfahrungen, wie bei Kleists zweiter Unschuld wird man darin, aber in aufgeklärter Weise, wieder Kind – Peter Hacks:
»Das Kind trennt nicht scharf zwischen poetischer und wissenschaftlicher Aneignung. Sein Bezug zum Gegenstand ist heiter und ungenau. Es baut, überaus gemächlich, neben dem Reich der möglichen Dinge ein Reich der wirklichen Dinge auf, und diese Reiche bestehen, auf spaßhafte Weise zwar auch wieder unterscheidbar, doch kaum kämpfend, nebeneinander. Alle Erkenntnisse des Kindes sind Als-ob-Erkenntnisse, all seine Vermögen gleichsam probeweise, gleichsam ästhetisch. Das Kinderpublikum ist ein Publikum von Künstlern, woraus nicht folgt, daß das Kinderdrama das vortrefflichste Drama sei. Kunst mag ein Spiel sein, aber sie ist kein Kinderspiel.« 266
Die Kritische Theorie, Schöpfung höchst erwachsener Denker, sieht diese Lage mit Unbehagen; man hat, bei aller Kunstbegeisterung dieser Leute, manchmal den Eindruck, sie sähen von den Als-ob-Erkenntnissen der Künste ihren eigenen Anspruch auf Wahrheit und Erkenntnis verhöhnt; wo dann avantgardistisch genug gearbeitet wird, mag die Schuld durch Sperrigkeit abgegolten sein, wo es aber allzu kulturindustriell-vergnüglich wird, fällt der Verdammungshammer. Wir wollen ein Beispiel hierfür genauer anschauen; es ist lehrreich.
V.
Kritische Kunstspießer und eine Fabrik namens Dickens
Ernst Bloch schreibt – und zwar nicht irgendwo in einem vergrätzten Tagebuch, sondern in seinem Hauptwerk, dem Prinzip Hoffnung :
»Wo freilich alles zerfällt, verrenkt sich auch der Körper mühelos mit. Roheres, Gemeineres, Dümmeres als die Jazztänze seit 1930 ward noch nicht gesehen. Jitterbug, Boogie-Woogie, das ist außer Rand und Band geratener Stumpfsinn, mit einem ihm entsprechenden Gejaule, das die sozusagen tönende Begleitung macht. Solch amerikanische Bewegung erschüttert die westlichen Länder, nicht als Tanz, sondern als Erbrechen. Der Mensch soll besudelt werden und das Gehirn entleert; desto weniger weiß er unter seinen Ausbeutern, woran er ist, für wen er schuftet, für was er zum Sterben verschickt wird.« 267
Man möchte, wenn man Bloch mag – was wir tun –, nicht gerne stehenlassen, wonach das aussieht, nämlich daß der große Philosoph, kritisches Anti-Ausbeutungs-Schwänzchen der törichten Passage hin, antiamerikanisches kulturpessimistisches Ressentiment her, einfach einen Denkaussetzer gehabt haben muß, unter dessen gesträubter Oberfläche sogar schwer zu übersehende Spurenelemente von Rassismus zu identifizieren wären – denn es sind vielleicht nicht völlig zufällig Beispiele aus dem Bereich der sogenannten schwarzen Musik, des Mutterschiffs der gesamten musikalischen Popkultur im zurückliegenden Jahrhundert, die er da angreift. Daß er solche Sachen einfach aus intellektueller Schwäche und moralischer Blindheit geschrieben haben soll, das möchte man auf einem wie Bloch nicht gerne sitzenlassen. Könnte es also etwa sein, daß man das alles als eine Art manisch-depressive Episode lesen darf, also nicht nur bei Bloch, sondern analog auch bei Adorno: daß das Mißtrauen dieser Intellektuellen gegen – zum Beispiel – Jazz daher kam, daß Hitler sie aus Europa vertrieben hatte, und jetzt saßen sie in Amerika, dieses Emigrantenschicksal litten ja beide, und dort fehlte ihnen die Nestwärme der vertrauten Kulturwelt, die sie kannten, das Dörfliche und
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