Der Implex
reale Zuwächse an Freiheit, Zurückweichen der Gewalt, Indirektwerden der Zwänge, Zunahme von Vermittlung etwa über Ausdifferenzierung selbst ohne begriffliche oder politische Konsolidierung etwas Wünschenswertes sind, und die Spezialisierung der Avantgarde, die Adorno ablehnt, als Symptom der Ausdifferenzierung ebenso verteidigt zu werden verdient wie, auf abermals einer anderen Ebene, die Schwellensenkung für Musik und Tanz, das ästhetische Genießenkönnen selbst noch der Entfremdung (als typisch uneigentliche, also künstlerische Erfahrungsform), die Bloch verleumdet. Hier, wenn irgendwo, liegen die fortschrittlichen Momente von Kulturindustrie und Pop, die allerdings im Zuge der allgemeinen Verwerterei und der Erschließung jugendlicher Kaufkraft mitunter von Intellektuellen, die auf die Hinterlassenschaft der Kritischen Theorie ihrerseits kritisch reagiert haben, allzu rosig gemalt haben. Bei Pop nämlich, bei der Massenkultur und ihrer Gegenkultur, die beide entweder industriell gefertigt sind oder in Nischen mit dem von jener Industrie fallengelassenen Spielzeug hantieren, geht es außer um Anreize zum Kaufen und Verkaufen von irgendwelchem Ramsch jedenfalls oft genug – und sei es nur als Köder, den man sich genau ansehen muß, bevor man ihn schluckt – um die Aussicht auf Menschenkollektive, die eben nicht von Angst, von Gewalt und deren Androhung, von Verfolgung und Anpassung zusammengehalten werden, sondern von sozial organisierten Glücksversprechen, von der einvernehmlichen, unerwartbaren Erlebnissen den Weg ebnenden Verabredung (etwa innerhalb einer Band), vom Schwelgen in der Entgrenzung, von der Funktionslust der tanzenden Körper, des mitwippenden Fußes, der nickenden Köpfchen.
In solchen Realprozessen etwas zu sehen, das nicht auf seine Funktion als Inneneinrichtung des Unrechts beschränkt bleiben sollte, ist zumindest nicht unaufgeklärter als das von Bloch in einem Moment der kognitiven wie moralischen Schwäche gebellte Gegenteil.
Die Aufklärung selbst, als konkrete historische Erscheinung an der Schwelle zur bürgerlichen Selbstemanzipation, zum Kapitalverhältnis und zur Industrialisierung, konnte sich solche Gedanken naturgemäß noch nicht machen. Das hat sie nicht unbeschädigt gelassen; jeder Kopftuchstreit unter Massenmedienbedingungen, jede Inzidenz von semiotic warfare in den gründlich durchkulturalisierten reichen Gesellschaften zeigt, daß das Herunterbeten von Voltaireschen Sentenzen und Zitaten aus Nathan der Weise unzulängliche Instrumente des Fortschritts sind. Der in Fragen der Aufklärungsphilologie unbestritten klügste und kundigste Gelehrte der Gegenwart, Jonathan Israel, der sich für die radikale und die umkämpfte Aufklärung, also den Teil der Bewegung, dem auch unsere Sympathie gilt, jederzeit tapfer schlägt, hat in seinem mehrbändigen Mammutwerk auf Kunst kaum Gewicht gelegt; die Aufklärerinnen und Aufklärer, die er darstellt und paraphrasiert, scheinen ihm wenig Brauchbares hinterlassen zu haben, von gelegentlichen lustigen und bedenkenswerten Kuriosa wie dem Satz des Helvétius – »Bis zum allgemeinen Frieden ist die Kriegskunst die höchste Kunst« 269 – einmal abgesehen.
Was ein aufgeklärter politischer Umgang mit den Künsten von Kants niedlicher Irrlehre über das »interesselose Wohlgefallen« haben soll, ist nicht leicht zu erkennen, im Gegenteil verstellt sie, wenn man sie glaubt, den Blick etwa auf die Gründe für den Haß auf »entartete Kunst«, der jedenfalls nicht »interesselos« genannt werden kann. Zwar hat Kant insoweit recht, als nur wenige Menschen auf den Gedanken kommen, etwa ihre sexuelle Lust auf Statuen zu richten und an diesen befriedigen zu wollen, aber er verschiebt die von uns oben unter 2. erkundete Eigenschaft der Kunst, daß die Reize, die sie vergibt, von unwirklichen Welten handeln, einfach ins Subjekt (nicht die Statue ist ihm ein falscher Mensch, sondern das sexuelle Interesse an ihr wäre ein falsches, der ästhetischen Erfahrungsweise unangemessenes), ein Denkfehler, der sich – noch einmal: wissenssoziologisch leicht faßbar – der bürgerlichen Individualmonadisierung verdankt, nicht der Gedankenlosigkeit des Philosophen. Ein Objektives wird subjektiviert, weil bürgerlich-aufgeklärte Philosophie der klassischen Epoche auf alles reflektieren kann, nur nicht auf ihre subjektphilosophischen Prämissen, was es dann leider dem im Imperialismus sich ausbreitenden Neopyrrhonismus so leicht macht, ihm
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