Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
Vom Netzwerk:
Beispiel Tula-Tokarew-Pistolen, hergestellt in den späten zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der UdSSR).
    Beim Essen spielt für sie vielleicht angenehmere Musik als für uns, an diesem Abend nach der Warenform, einem unter vielen; der Osten ist womöglich weiter – während man bei uns noch mit Elektronik arbeitet, singen bei ihnen transgener Flieder, Goldglöckchen und Glyzinien (»chinesischer Blauregen«).
     
    Von Verwaltung weiß die neue Erde nur das Nötigste. Die Hoheitsakte einer demokratischen, energetisch und informationell gerechten Gesellschaftsform wären an Ästhetik selbst den antik athenischen überlegen; man kann sie sich als agencement ineinandergreifender Arabesken denken: Schau mal, die nette Frau vom Lokalstromrat ist heute in der Ladenpassage, die war doch gestern im Krankenhausgemeinschaftsraum und vorgestern auf dem Dachgarten über der Teencity, draußen am Staudamm, hat natürlich ihren Transceiver dabei, ist ja ihr ganzes Büro. Was sie macht? Wirbt für ihre Wiederwahl, hört sich an, was es für Ärger gibt, schickt die Daten ans polyzentrale Ämtchen – kann man das eigentlich noch » social engineering «, wenigstens »Dienstleistung« nennen, oder ist das schon schiere Nachbarschaftspflege? Wie enttäuschend für die Letzten, die noch bei der Revolution mitgemacht haben: Was wir ihnen verdanken, sieht für sie viel zu gelassen aus. Es kursieren Witze: Schon gehört? Die Technikistreife hat einen Architekten aus der virtuellen Baubehörde befreit, er hat sich in seinen Anträgen verlaufen. Fast alles, was entsteht, ist wert, daß sich wer drum kümmert: Für den neuen Riesensee, wo früher Köln war, brauchen wir einen Ad-hoc-Aufforstungstrupp, wegen der Stabilisierung der Böschung, den koordiniert dann deine Schwester, weil sie von ihrer Malerei und Mathematik mal ein Vierteljahr ausspannen will. In Amerika haben sie jetzt einen 15-Jährigen zum Präsidenten gewählt, für drei Wochen; ihren Pop-Fimmel, der sie ständig zu historical reenactments verführt, werden sie wohl nie los.
    »Governance« ist kein sozioökonomisches Problem mehr, sondern eine Software, die man in Südafrika entwickelt hat, wo die Naturschutzgebiete immer größer werden. Das letzte Netzplebiszit in deren unmittelbarer Umgebung hat ergeben, daß die jüngste Abwanderungswelle von Orbit-Gardening-Freaks in die Lagrange-Städte zwischen Erde und Mond genutzt werden sollte, aufgegebene earthbound -Siedlungen nicht wieder zu bevölkern, sondern das Terrain, das sie umgibt, systematisch verwildern zu lassen. Demographische Nahtechnikfolgenabschätzungsprojektionen legen die Erwartung nahe, daß Südafrika, wenn die Sache so weitergeht, der zwölfte Nationalstaat sein wird, der sich offiziell auflöst und der modularen Internationale anschließt, deren dritte Serverzikkurat (nach den beiden ersten im Amazonasbecken und nahe Warschau) demnächst in Tripolis in Betrieb genommen werden soll. Gedenkveranstaltungen fürs Internet, das sich vor kurzem endgültig in ein erheblich beweglicheres Netz auf der Basis drahtlos miteinander verbundener Winzmaschinen verwandelt hat, die wie Staub ubiquitär sind und auf elektromagnetischen Feldern durch die Gegend gleiten, werden als große Partys ausgerichtet; der Streit darum, ob die Wohngegenden mehr denkenden Schaum (»Computronium« sagen, nach Charles Stross, immer noch einige) brauchen, oder ob Rudy Ruckers alter Vergleich greift, wonach die Umwandlung ohnehin rechnender Materie in eigens gefertigte Rechnerelemente auf dem Stand der von energetischem und informationellem Unrecht emanzipierten tellurischen Technik so blöde ist wie das Töten von Walen zu dem Zweck, aus ihren Knochen Fetische von Walgottheiten zu schnitzen, erfüllt alle drei Räume, den kausalen, den argumentativen und den normativen, mit lebhaften Für-und-wider-Konzerten.
     
    Das für den Menschenstolz Beschämendste an der Unfreiheit waren ja stets ihre vielen Scheinfunktionalitäten. Überall in der Klassengesellschaft sieht immer wieder etwas nach Arbeitsteilung aus, das in Wirklichkeit nur Befestigung von vorübergehenden Frontverläufen irgendwelcher Klassenkämpfe ist. So hat man etwa, wir erinnern uns, vor der Einführung des liberalen Staates bourgeoiser Prägung für eine Sache, die später einfach »Landrat« heißen wird, zweierlei Posten und Namen – »Amtmann«, wenn’s bloß ein Bürger ist, »Herr Landdrost«, wenn den Kram ein Adliger erledigt. Diesen Unfug bringt der

Weitere Kostenlose Bücher