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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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und so ein Subjekt, ein mit Entscheidungsfreiheit, weil mit Petrarcaschem secretum meum ausgestattetes Wesen entsteht – Denken ohne Sprechen ist möglich, aber der Subjektivität nicht gerade zuträglich; Sprache erwirbt man sozial, sobald man sie hat, kann man Subjektivität ausbilden, einen monologue intérieur führen etc.: Das Kürzel für den ganzen Vorgang, das wir prägen möchten, heißt dann »Menschen sind aus anderen Menschen zusammengesetzt«. Unser im letzten Kapitel erarbeiteter Begriff von Freiheit, der darauf besteht, daß es sich dabei um eine soziale statt um eine epistemische Angelegenheit handelt, ist also einer, der den Interpenetrationismus zweier Systeme, des sozialen und des psychischen, gegenwärtig halten will. Wer das Beispiel zu recherché findet, mag statt dessen das psychische System vernachlässigen und an zwei gleichermaßen soziale Systeme denken: Das Bildungssystem und die Familie zum Beispiel; die Festlegung und der Spielraum innerhalb der Geschlechterrollen und der mit diesen wiederum interpenetrativ vermittelten Interpenetration (es gibt in einigermaßen entwickelten Gesellschaften auch schwule und lesbische Elternpaare und inzwischen sogar mit patriarchalisch geprägten Intuitionen noch schlechter vereinbare, polyfokale Familienarchitekturen) hat ja entscheidend damit zu tun, ob beispielsweise Universitäten vom Studentenwerk irgendeine Art von Kinderbetreuung anbieten oder nicht, ob die Kinder in diesen Einrichtungen, wenn sie denn bestehen, Schlafplätze und Küchen vorfinden, die besser oder schlechter sind als zuhause, ob und wie gut das Personal ausgebildet ist etc. Die Diskussion über Nature versus Nurture wird viel zu oft geführt, um solche Überlegungen nicht etwa analytisch zu unterfüttern, sondern sie sich zu ersparen, weil Diskutieren nun mal billiger ist (wenn auch nicht kostenlos, wie sowohl legitime als auch illegitime Autoritäten wissen, die sich selbst das Diskutieren ersparen und dafür dann allerdings gelegentlich mit erhöhtem Aufwand fürs social engineering bezahlen müssen).
     
    Konner bestreitet als pflichtbewußter Induktivist die Realität des Genoms sowenig wie die der individuellen Lerngeschichte; wir wollen das im folgenden genausowenig tun, denn ein vom normativen Status getragenes Aufklärungsverständnis wie dasjenige, das wir fördern wollen, kann, wenn es sich unbedachterweise mit den Ergebnissen von Einzelwissenschaften anlegen sollte, dabei nur den Kürzeren ziehen.
    Was man derzeit über die Neuroplastizität im Menschenhirn wissen kann, verträgt sich ganz gut damit, daß Verhalten gelernt und in performativen Rückkopplungsschlaufen stabilisiert werden kann; Judith Butler und die Hirnforschung müssen einander nicht die Ehre abschneiden, was nicht einmal ausschließt, daß alle beide Unsinn reden. Darauf kommt es uns nicht an, das sollen die Fachleute klären.
     
    Was wir allerdings bestreiten, sind Propositionen wie die, daß ein Zustand, da von Naturdeterminanten herleitbar, auch hinzunehmen sei, in dem sich Menschen in Genitalien verlieben (statt in Personen), in dem Sexualrollen für abgeschaltete Gehirne denken, anstelle von über ihre Interessen aufgeklärten Individuen und Kollektiven lieber deren Hormone Politik machen, in dem Gebärfähigkeit ein Faktor bei der Zuteilung von Rechten ist – und anderen Horror, den zwar in den Kreisen, an die sich dieses Buch mangels anderer Kanäle fürs Öffentlichmachen entsprechender Gedanken wenden muß, kaum jemand offen vertritt, der aber, ließe sich falsches Sozialverhalten, falsche Politik, falsches Denken zu den betreffenden Fragen überhaupt je dazu herab, in Begründungsgefechte einzutreten, von denen, die das in unserem Sinne Falsche fördern und betreiben, mit einiger Überzeugung (wenn schon nicht Überzeugungskraft) behauptet werden müßte.
     
II.
Die Nichtöffentlichkeit ist eine Frau
    Benachteiligte Menschenpopulationen erkennt man in der Neuzeit daran, daß Intellektuelle – Geistliche, Schreibende, Redende, Denkende – Gerechtigkeit für sie fordern. Je besser die Lage der jeweiligen Intellektuellensorte im Vergleich zu den jeweiligen Benachteiligten, desto weniger analytische Mühe geben sich die Intellektuellen, desto moralischer werden daher ihre Appelle, dem Mißstand abzuhelfen, desto vergröbernder auch geraten ihre Schilderungen des betreffenden Elends, desto weniger begriffliche Mühe also geben sie sich insgesamt. Die Sache ist zunächst Reflex, nicht

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