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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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nicht verliert. Hier liegt das ausgedehnte Fantasyreich der blumigsten Euphemismen, »Menschenhandel« ist auch heute noch weitgehend ein Deckwort für Frauenhandel, und erst als gegängelte sexuelle Dienstleisterin ist die Frau erst richtig im erwähnten Doppelcharakter angekommen – einerseits Bestandteil einer Wertschöpfungskette, sie macht Geld, andererseits rechtlos wie nur der Acker oder die Schweine. Nur iFeminists allerdings können glauben, die Lösung des Problems bestünde darin, daß sich alle Nutten selbständig machen. Es gibt mehr Formen von Sexismus als das Arbeitsrecht und, Dworkin zum Trotz, mehr Sorten Vergewaltigung, als in der übelsten Pornographie gefeiert werden, ja, beide betreffen sogar mehr als die zwei Geschlechter, von denen Dworkin wußte – eine von Peter Ackroyds zauberhaftesten Geistesleistungen war wohl der Einfall, »Sexismus« schlicht als den in Wort und Tat vertretenen Aberglauben zu definieren, es gäbe zwei, höchstens drei Geschlechter.
     
    Wie viele auch immer es gibt oder geben sollte, sie sind unter den derzeitigen Sozialbestimmungen halb Personen und halb Rohstoff, wenn sie fruchtbar sind. Die Verzinsung, die mit Biomacht in diese Fruchtbarkeit greift, gehört zu den energetisch-informationellen Grundlagen von Herrschaft überhaupt, von der man erst auf dem äußersten Gegenwartsgipfel der langen Historie technischer Zurichtung des Lebendigen eine realistische Vorstellung zu gewinnen lernt – etwa anhand der Geschichte der HeLa-Zellen, einer Zellkultur, die buchstäblich unsterblich ist, weil ihr (wie das bei Krebs eben ist) der Abschaltmechanismus fehlt, der die Anzahl der Zellteilungen in Grenzen halten soll. Den HeLa-Zellen verdankt man Impfstoffe gegen Polio und das menschliche Papillomavirus, in jüngster Zeit Chemotherapeutika gegen Krebs und vielversprechende Ergebnisse beim Studium monoklonaler Antikörper. Man hat sie Kryo-Härten ausgesetzt, ins All geschossen, mit Gammastrahlung traktiert. Die Quelle der Zellkultur aber war eine krebskranke, vermögenslose schwarze Frau in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts (eine Zeit, in der auch Atomtests das menschlich Lebendige herausforderten, und beides, die HeLa-Gewinnung wie die Pilzexplosionen, läßt sich dabei noch an rationalen Zweckbestimmungen messen, bleibt also unterhalb der höllischen, binnenrational organisierten und zugleich vollständig irrationalen Grausamkeiten eines Mengele). Die Frau hieß Henrietta Lacks, das HeLa-Kürzel bewahrt ihren Namen und bringt ihn gleichzeitig zum Verschwinden.
    Die idealistische, als Wissenschafts- und Technokratenkritik gängige Meinung, die man zu so etwas haben kann, mag an dieser Stelle so etwas herbeiassoziieren wie, daß hier eine mit den Ressourcen der Erde gleichgesetzte, naturalisierte Frau zum Objekt gemacht wird, weil die weiße, männliche, euro-amerozentrische Ratio die Dinge eben so denkt und also auch so anfaßt. Unsere davon abweichende Position läßt die Ratio erst mal Ratio sein und betont lieber, daß die Wahrscheinlichkeit, daß solche Ausbeutungszugriffe eine Frau treffen, einen rassistisch diskriminierten Menschen, eine Besitzlose, einfach höher ist als das jeweilige Gegenteil, weil die entsprechenden Realverhältnisse so sind. Alle löblich antirassistischen und antisexistischen speech codes an sämtlichen Forschungsstätten, die medizinische Forschung betreiben, schaffen den Status, den die Henrietta Lackses dieser Erde außerhalb der Institutsmauern haben, nicht aus der Welt, Forscherinnen und Forscher, welche heute HeLa-Versuche durchführen, können selbst Einwandererkinder sein oder Schwarze, lesbisch oder taub, ihre Existenz kann trotzdem kein Indiz für eine Überwindung der zum Zeitpunkt der HeLa-Zellengewinnung herrschenden Zustände sein, solange die Filter nach Rasse, Klasse, Geschlecht nicht aus den Institutionen der Produktion und Zirkulation herausgebrochen, solange die Logikgatter von Hexis und Praxis nicht anders gruppiert sind, solange also die Maschine selbst, in der die Gatter rattern, keine andere geworden ist.
     
    Die falsche Anthropologie, Anthropometrik, Anthropotechnik naturwüchsiger Zustände anzugreifen heißt immer, diejenigen Seiten des Vorgefundenen der theoretischen und praktischen Kritik auszusetzen, die zu Selbstverständlichkeiten geronnene, ontologisierte, hypostasierte, naturalisierte, biologisierte, essentialisierte soziale Relationen sind – und dazu gehören auch diejenigen der

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