Der Implex
Anthropokritik; im Falle der Geschlechterverhältnisse vor allem die scheinbar logisch unhintergehbare Ansicht, daß sich das Patriarchat nur in Fraueninteresse, aus Frauenperspektive, in Frauenverbänden und als Frauendebatte aufheben läßt. Zwar bleibt Feminismus so lange der richtige Name für alle derartigen Anstrengungen, denn wenn es gilt, ein Losverfahren als solches ungerecht zu finden, wird man das erste und aufmerksamste Gehör bei denen finden, die Nieten gezogen haben (wer undenkbar findet, das könnten je nach Orts- und Zeitspezifik auch mal Männer sein, leidet an einer Beschränktheit, die viel zu umfassend ist, als daß das Etikett »sexistisch« ihre Schwächen erschöpfend beschreiben könnte); jede einschlägige Kampagne kann gar nicht anders, als den statistisch Schlechtergestellten mit jedem Schlag gegen systematische Unredlichkeit, vernunftlose Tradition, falsche Erzeugungsgewohnheiten zu nützen.
Daß aber von der überkommenen und unterm Kapitalverhältnis in der beschriebenen Weise zugleich dynamisierten wie stabilisierten sexistischen Ordnung auch Jungen und Männer um ein Gutteil ihrer menschlichen Möglichkeiten betrogen werden, muß man zwar tatsächlich erst einmal denken können, bevor man es sieht, wird man dann aber nicht mehr ignorieren dürfen. Aufgrund des umstandslosen Ineinsfallenlassens von Fortpflanzungsverantwortung und Fruchtbarkeitsimago hat man beispielsweise Verhütungsentscheidungen in lästiger Asymmetrie einseitig dem Ewigweiblichen aufgebürdet und im selben Akt den Männern weggenommen – daß es beim gegenwärtigen Stand der Biochemie wirklich nicht möglich sein soll, diesseits der Sterilisation eine den gängigen befristeten Technologien für Frauen gleichwertige für Männer an die Seite zu stellen, leuchtet vielleicht Gläubigen der New-Age- Gebärmystik ein, nicht aber aufgeklärten Menschen; die Sache läuft einfach entlang der wirtschaftlichen Überlegung, daß eine sitzengelassene Frau wahrscheinlicher ist als ein sitzengelassener Mann, und das wiederum wird man nur so lange »natürlich«, i.e. triftig finden, wie gesellschaftlich nicht durchgesetzt ist, daß die unmittelbare Betreuung, Versorgung etc. von Säuglingen zwar einen konstanten Menschen braucht, aber nirgends auf dem Genom festgeschrieben ist, welches Geschlecht der haben muß oder ob es ohne Schädigung fürs Kleinkind nur eine Frau sein kann.
Es gibt sogar Berufe außer Mutter, bei denen dieselbe Klemme stört: Irgendwas kann jeder, das gilt auch für Männer, aber was geschieht ihnen, wenn sie lieber Feste organisieren, Inneneinrichtungen farblich abstimmen oder Leute trösten als irgend etwas erobern, bezwingen, stemmen, zertrümmern oder errichten? Daß einer erst seine sexuelle Orientierung wechseln muß, bevor er bei der Agentur für Arbeit zugeben darf, ein bißchen Mädchen zu sein, ist Verarmung, Verengung: Barbarei.
Neuerdings unter Bedenkenträgerinnen und Sichsorgenmachern verbreitete Klagen über die Folgen des Gender Mainstreaming gehen an Funktionsweise und Wirklichkeit jener Gatter so weit vorbei wie vielfach dieses Mainstreaming selbst – die unerfreuliche Vielfalt der Erscheinungen zu sortieren und gegen sie etwas auszurichten, verlangt ein umfassenderes Problemverständnis als ein am Wippschaukelbild ausgerichtetes »Wer die Abwertung der Frauen aushebeln will, muß sie eben aufwerten« oder umgekehrt. In den Soziolabors der reichsten Länder stellt sich die Lage so dar: Mädchen sind besser in der Schule, mittlerweile auch in den »klassischen« Jungs-Fächern wie Mathematik, Mädchen machen häufiger qualifizierte Schulabschlüsse und studieren, Jungs schmeißen häufiger die Schule, Frauen rauchen weniger als Männer, nehmen nicht so häufig Drogen, leiden nicht so sehr unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, leben länger, sind seltener kriminell – das alles bleibt im Anekdotischen stecken und riecht im günstigsten Fall nach neuen, einfach gekippten oder mit Vorzeichenwechsel versehener Ontologisierungsgelegenheit.
Diese Molekularverhältnisse ändern hieße, den makroökonomischen an die Substanz gehen, und da fängt das Heikle wie das Interessante an: WTO, IMF und Weltbank, um nur die größten Eingriffswerkzeuge zu nennen, sind nominell geschlechtsneutral, decken real aber jede Menge Maßnahmen, die sich aufs naturwüchsige Abfedern und Auffangen von Unrecht und ökonomisch vermittelter Gewalt auf Geschlechterbasis verlassen; NGOs tapern demgegenüber noch im
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