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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Abhängigkeiten auch nicht eben als Weg zum Heil; vielleicht war das einzig Gute an der Situation nach 1945 die Chance zur Schaukelpolitik für die berühmten »Blockfreien«. Die darf man allerdings nicht zu rasch in eins setzen mit dem noch viel berühmteren »Dritten Weg«, bei dem es sich vielmehr um allerlei unpraktikable Handwerkeleien zwischen treuherzig Sozialdemokratischem und pathisch Steinzeitlichem (man denke, als Extremrepräsentanten, an Allende und Pol Pot) handelte.
     
    Hermann L. Gremliza hat dem proletarischen Internationalismus und Antirassismus, den der Osten verwaltete, im November 1989 einen Nachruf geschrieben, der als Appell an die SED zu groß gedacht war, um von den Adressaten verstanden zu werden, und der tragikomischen Geschichte eine erhabene Coda schreibt – die DDR, so riet er, den man »drüben« in Anerkennung seiner als KONKRET-Herausgeber und politischer Schriftsteller erworbenen Verdienste um die Bekämpfung westlicher Kalter Krieger an offiziellster Stelle einen »besonnenen BRD-Bürger« genannt hatte, sollte, da nun ihre Niederlage im Systemwettstreit mit der BRD weniger von der Geschichte als vielmehr von der Sowjetmacht beschlossene Sache sei, beschließen und verkünden:
    »Ab 1. Januar 1990 steht es jedem Bürger der DDR frei, seine Staatsbürgerschaft abzulegen und in ein Land seiner Wahl auszuwandern. Zum gleichen Zeitpunkt öffnet die DDR ihre Grenzen für Verfolgte aus allen Teilen der Welt. Tamilen, Kurden, Ghanaer, Palästinenser, Chilenen, Panamaer, Iren, Armenier, demnächst auch ungarische oder lettische Kommunisten – sie und viele mehr sind eingeladen, die Plätze der Auswanderer einzunehmen und, wenn sie möchten, auf Dauer Bürger der DDR zu werden. Die Nationale Volksarmee wird aufgelöst. Da ohne den Rückhalt, den der Warschauer Vertrag bot, eine militärische Verteidigung unseres Staates gegen die westliche Übermacht nicht möglich wäre, können die der Rüstung und dem Kasernenleben gewidmeten Teile des Sozialprodukts für die Kosten aufgewandt werden, welche die Einübung der neuen Bürger an ihren Arbeitsplätzen verursachen wird. Die Kräfte der Staatssicherheit, die Volkspolizei, die Betriebskampfgruppen und die Justiz sollen eine neue, der Humanität verpflichtete Aufgabe erhalten: Sie werden dafür sorgen, daß dem auch in der Bevölkerung der DDR, denn es sind Deutsche, virulenten Rassismus keine Chance gegeben wird, daß Rassisten ausgespäht und zu hohen Strafen verurteilt werden. Wir wissen, daß die Bestrafung auch von miesester Gesinnung nur ein Notbehelf ist; zum Schutz unserer neuen Bürger wird uns aber zunächst nichts anderes übrigbleiben, als von diesem Mittel Gebrauch zu machen.« 43
    Man habe sich, so schließt die Erklärung, auf die »Pflicht besonnen, das humanistische Erbe der Aufklärung, der frühen Kommunisten, des Widerstands gegen Faschismus und Rassismus, das unsere Feiertagsreden bereichert hat, ohne Rücksicht auch auf schmerzhafte ökonomische Einbußen anzunehmen« 44 – bessere Science-fiction ist nach 1945 auf deutsch nicht geschrieben worden; hätte der Vorschlag in der SED Leute gefunden, die ihn zumindest erwogen, diese Partei wäre ganz anders in die Geschichte eingegangen, als sie sich, reichlich ruhmlos, aus ihr verabschiedete.
     
    Neben dem realsozialistischen gab es ab etwa 1968 in den reichen Staaten noch einen anderen linken Internationalismus, den der Neuen Linken nämlich, der dann mit dem realsozialistischen etwa ab 1972 diverse unterm Kennwort »Antiimperialismus« laufende Legierungen einging. Direkte Inspiratoren der Neuen Linken wie Herbert Marcuse, beeindruckt von Staaten wie Indien, spielten eine Weile mit der Idee, es möchte möglich sein, Regionen, in denen die kapitalistische Entwicklung nicht nach Maßgabe der von Marx in den hochindustriellen Staaten gewonnenen historischen Stufenfolge stattgefunden hatte, aus dieser Logik ganz herauszunehmen. Hört man heute Radiodiskussionen mit Marcuse zu diesem Nexus 45 , vernimmt man darauf ein spätes Echo der ganz ähnlichen Ansichten von Marx und Engels über Rußland – anders als viele ihrer späteren Anhänger, die aus der Ableitung der Entwicklung des Kapitalverhältnisses, die Marx geleistet hatte, das starre Schema »Ohne vorangegangenen Kapitalismus kein Sozialismus« machten, hielten die beiden Begründer der Theorie den Verlauf für möglich, daß aus der russischen dörflichen Produktion höhere Formen kollektiven Wirtschaftens ohne den

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