Der Indianerlord
genießen. Ihre Augen strahlten, ihr Gelächter klang echt.
Als Sloan ihr für einen Moment den Rücken zukehrte, trat Henry Pierpont an ihre Seite - ganz der würdevolle Anwalt in einem Nadelstreifenanzug mit gestärktem weißem Hemd. Während er seine Brille zurechtrückte, überreichte er ihr ein Kuvert. Verwundert runzelte sie die Stirn. Er gab eine Erklärung ab, und sie dankte ihm lächelnd. Den Umschlag in der Hand, schaute sie sich verstohlen um.
»Diese bebrillte kleine Ratte!« murmelte Hawk vor sich hin. »Was zum Teufel hat er ihr gegeben?«
Nun kehrte Sloan zu Skylar zurück und brachte ihr ein Glas Sherry. Strahlend schaute sie ihn an und ließ das Kuvert in der Tasche ihres Rocks verschwinden. Dann entschuldigte sie sich, eilte ins Haus, und Hawk beschloss ihr zu folgen.
Doch das war nicht so einfach. Immer wieder wurde er von Gästen aufgehalten, die ihm seinerseits ihr Beileid aussprachen, ihm andererseits zu seiner neuen Frau gratulierten. Als er den Salon endlich erreichte, sah er sie vor dem Kamin stehen, die Silberaugen voller Tränen.
»Skylar!«
Erschrocken drehte sie sich um und griff in ihre Tasche. Sie würde ihm wohl kaum freiwillig mitteilen, was der Umschlag enthielt. Also war es sinnlos, danach zu fragen.
»Was willst du?« flüsterte sie.
»Wir haben Gäste.«
»In der Tat ... «
»Ist irgendetwas passiert?« erkundigte er sich höflich.
Mit zitternden Fingern strich sie über ihre Wange. »Nein. Warum?«
»Vorhin sah ich, wie Henry dir etwas gab.«
»Ach, das ... Ein Telegramm. Aber es stand nichts drin.
»Wie sonderbar! Darf ich's sehen?«
»Soeben habe ich's verbrannt. Und jetzt muss ich nachsehen, ob noch genug Punsch für die Damen da ist.« Sie rannte an ihm vorbei. Offenbar fürchtete sie, er könnte sie zurückhalten. Aber er rührte sich nicht. Seine Zeit würde noch kommen.
Kapitel 11
Während sie auf der Terrasse zwischen den Gästen umherwanderte, beobachtete er sie unentwegt. Die Leute aßen und tranken, redeten über alte Zeiten, Politik und Indianer.
An dieser Konversation beteiligte sich Hawk nicht. Wenn indianische Regierungsagenten und amerikanische Soldaten zusammenkamen, konnten jederzeit gefährliche Meinungsverschiedenheiten entstehen. Auch an diesem Abend drohte so mancher Streit zu entbrennen. Aber Skylar besaß das erstaunliche Talent, immer im richtigen Augenblick dazwischenzutreten.
Schließlich verabschiedeten sich alle Gäste bis auf Willow und Sloan Trelawny. Hawk zog sich mit seinen alten Freunden in die Bibliothek zurück und bot ihnen Cognac an'. An diesem Abend trank er weniger als sonst.
»Die Prärie beginnt zu sterben. « Nachdenklich ließ Sloan die braune Flüssigkeit in seinem Glas kreisen. »Wenn ich das den Leuten erkläre, verstehen sie's nicht. Aber du weißt doch, was ich meine, Hawk?«
»O ja. Vielleicht wird die Army letzen Endes nachgeben und den Sioux ihre letzten Jagdgründe überlassen. Immerhin gibt's genug Land ... «
»Es gibt nie genug Land. Übrigens, die Weißen wissen, dass die Indianer betrogen werden. In Washington rechnet man mit einem Skandal. Dein Freund Custer ... «
»Mein Freund?«
Grinsend zuckte Sloan die Achseln. Hawk und Custer waren mehrmals aneinandergeraten, schon beim gemeinsamen Studium in West Point. Später hatten sie zusammen im Sezessionskrieg gekämpft und des Öfteren unterschiedliche Ansichten vertreten. »Er ist ein sehr populärer Mann«, betonte Sloan.
»Und ein notorischer Angeber.«
»Ein Kriegsheld - und man munkelt sogar, er könnte fürs Präsidentenamt kandidieren. Neuerdings protestiert er lautstark gegen den Vorwurf, die hiesigen Indianerbehörden seien korrupt und eifrig bestrebt, sich mittels übler Machenschaften zu bereichern. Aber er behauptet auch, die Indianer würden betrogen.«
»Am liebsten würde er ihr Blut vergießen.«
»Nun, er ist Soldat, und er braucht einen Sieg - wie Crazy Horse ein Krieger ist, der einfach kämpfen muss.«
»Leider nicht für den Frieden.«
»Wenn du glaubst, du könntest Custer die Stimmung der ganzen Nation anlasten, irrst du dich, Hawk.«
»Oh, ich laste ihm nichts dergleichen an. Ich verüble ihm nur seine Methoden ... « Seufzend verstummte Hawk und schüttelte den Kopf.
George Armstrong Custer, von Freunden und Verwandten >Autie< genannt, hatte seine albernen Streiche auf der Militärakademie in vollen Zügen genossen. Manchmal skalpierte er Eichhörnchen und legte sie aufs Kissen seines Kameraden Hawk, der seinen
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