Der indigoblaue Schleier
ordnete ihre Kleidung schnell wieder und erhob sich.
»Was?«, fragte sie in ihrem arrogantesten Ton.
»Da sind zwei Diener von Miguel-sahib gekommen, Ambadevi. Sie haben eine wichtige Botschaft.«
»Sag ihnen, sie sollen auf der Veranda Platz nehmen und sich einen Moment gedulden.«
»Sehr wohl, Ambadevi.« Er zögerte kurz, entschloss sich dann aber, den Grund des Kommens dieser Leute zu nennen. »Sie sagen, die, ähm, also, die Verlobte von Miguel-sahib sei eingetroffen.«
Amba ging zum Haus, ohne Miguel noch eines Blickes zu würdigen.
Er sollte die Tränen in ihren Augen nicht sehen.
[home]
40
Maharashtra, Oktober 1621
R
und zwanzig Monate lag es nun zurück, dass Uma und Roshni vor ihrem Schicksal geflohen waren – nur um festzustellen, dass es ihnen überallhin folgte. Ihre Wanderschaft hatte sie gelehrt, dass man dem unbarmherzigen Los, das der Himmel einem auferlegte, nicht entkommen konnte. Sogar Roshni hatte aufgehört, von einer rosigeren Zukunft zu reden. Immer öfter dachte sie darüber nach, wer oder was sie in einem früheren Leben gewesen war und welche Sünden sie begangen hatte, um solcherart bestraft zu werden.
Als Uma zu einer Audienz beim Maharadscha gebeten wurde, war Roshnis erste Reaktion daher nicht Freude, sondern Vorsicht.
»Bestimmt wollen sie dich verhören. Wahrscheinlich finden sie dann heraus, dass du die Schuld an dem Missgeschick des Prinzen trägst«, unkte Roshni.
Doch so war es nicht. Die Nachricht von der Rettung des Prinzen, die allein Uma zu verdanken war, hatte den Maharadscha und die Maharani zu tränenreichen Dankeshymnen veranlasst, die man Uma allerdings nur durch Boten überbringen ließ. Sie hielten sie für eine Unberührbare. Nachdem Uma das Missverständnis aufgeklärt und ihre vornehme Abstammung betont hatte, waren sie und Roshni in den Palast eingeladen worden. Man hatte ihnen zwei wunderschöne Gästezimmer zugewiesen, hatte ihnen Bäder und Schönheitsbehandlungen angedeihen lassen und ihnen neue Gewänder gegeben. Heute nun war der Tag, an dem die edle Retterin für rein genug erachtet wurde, dem Fürstenpaar persönlich vorgeführt zu werden.
Zwei uniformierte Wachen flankierten sie, als sie den Thronsaal betrat. Der Maharadscha saß auf seinem Thron, neben ihm stand sein einziger Sohn. Die beiden Männer betrachteten Uma fragend. Diese elegante Dame, die sich mit gesenktem Haupt vor sie hinkniete, hatten sie nie zuvor gesehen.
»Wo bleibt sie denn, meine Retterin?«, rief der Prinz ungehalten. »Schickt sie Euch vor? Fehlt ihr etwas? Habt Ihr eine Nachricht von ihr?«
Uma verstand kein Wort, glaubte jedoch zu begreifen, was den Prinzen bewegte: Er erkannte sie nicht. Sie wagte es nicht, dem Herrscher und seinem Spross in die Augen zu sehen – es wäre nur als Zeichen ihrer mangelnden Ehrerbietung aufgenommen worden. Doch hätte sie es getan, wäre ihre Identität dank ihrer auffälligen Augenfarbe sofort geklärt gewesen. Genauso wenig wagte Uma es, das Wort zu ergreifen, nicht, bevor der Maharadscha sie ausdrücklich dazu aufgefordert hätte. So hatte es ihr der Zeremonienmeister erklärt, der sich seit zwei Tagen mit kaum etwas anderem beschäftigte als mit der Einführung Umas in die Umgangsformen des Hofes. Er hielt sie nach wie vor für eine Hochstaplerin, eine Paria, die eine glückliche Fügung des Schicksals gnadenlos zu ihren Gunsten ausnutzen wollte, und er war nicht gewillt, seine eigene Karriere für diese Person aufs Spiel zu setzen. Wäre bekannt geworden, dass eine solche Unberührbare auch nur mit dem Schatten des Fürsten in Kontakt geraten wäre, hätte man nicht nur die Unselige, sondern auch ihn selber enthauptet.
Und so stand der Zeremonienmeister, der Uma mit einigen Schritten Abstand folgte, jetzt unerträgliche Seelenqualen aus. Würde die Frau seine Lektionen beherzigen? Würde sie unwillentlich ihr wahres Wesen verraten, indem sie vor dem Herrscher ihren Rotz hochzog oder sich unter den Armen kratzte? Würde sie seinen Ruf beschmutzen, indem sie sich unflätiger Worte bediente? Letzteres war zwar eher unwahrscheinlich, denn die Frau und ihre angebliche Schwiegermutter hatten vorgegeben, die Landessprache nicht zu beherrschen, was seinen Unterricht erheblich behindert hatte, aber man wusste nie. Vielleicht vergaß sie vor lauter Aufregung alles, was sie ihm vorgegaukelt hatte, und verwirkte damit ihr eigenes sowie sein Leben.
»Bitte antwortet meinem Sohn«, sagte der Maharadscha. Uma, die seine Worte nicht
Weitere Kostenlose Bücher