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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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schaute ihr tief in die Augen, die im Kerzenschein und unter den unglaublich langen, schwarzen Wimpern geheimnisvoll funkelten. Doch darin entdeckte er mehr Fragen als Antworten. Es war, als blicke man zu lange auf einen dunkelgrünen Waldsee, der seinen Grund nicht preisgeben wollte und der den Betrachter sich im Sog der Tiefe verlieren ließ.
    »Ihr seid die schönste Frau, die ich je gesehen habe«, sagte Miguel leise.
    Außer Eurer Verlobten, schoss es Amba durch den Kopf, doch sie schwieg. Sie wusste nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Es behagte ihr, sich so verwöhnen zu lassen. Es gefiel ihr, wie er mit ihr sprach und was sie sah: einen Mann, der charmant war, stilvoll und geistreich, der gut aussah und ein unwiderstehlich freches Grinsen hatte, in dem sich seine sorgenfreie Jugend und seine vornehme Herkunft ebenso offenbarten wie seine Intelligenz.
    Was ihr nicht gefiel, wog jedoch schwerer: Er war eine Gefahr für sie, nicht nur für ihren hart errungenen Seelenfrieden, sondern für ihr Leben und das der Menschen, die von ihr abhängig waren. Er brachte die Außenwelt zu ihnen, und mit ihr womöglich die Jäger, die ihr auf den Fersen waren, ganz zu schweigen von der Inquisition. Solange sie hier unter sich blieben und sich unauffällig verhielten, drohte ihnen wenig Gefahr. Aber wenn sich der junge Ribeiro Cruz erst wie ein Stammgast fühlte und immer wiederkehrte, dann würde es nicht lange dauern, bis auch dessen Dienstboten, seine Bekannten oder auch seine Feinde hier aufkreuzten. So war es immer, wenn man einander näherkam. Die Lebenswelten vermischten sich, ehe man sich’s versah. Sie wollte das nicht.
    Und sie wollte nicht, dass dieser herrliche Abend, der einem Traumreich anzugehören schien und nicht der Wirklichkeit, jemals endete.
    Miguel füllte ihr Glas auf, an dem sie nur genippt hatte. Dann gab er sich selber von dem unerwartet guten Wein etwas nach und hob das Glas. »Auf Eure Großherzigkeit, die sich in Eurer Schönheit widerspiegelt.« Sie nahmen beide einen Schluck, Amba einen kleinen, Miguel einen sehr großzügigen. Dann sprach er weiter. »Ihr habt mir mein Leben gerettet. Dafür habt Ihr bei mir einen Wunsch frei. Ganz gleich, was es ist – wenn ich es bewerkstelligen kann, werde ich weder Kosten noch Mühen scheuen, ihn zu erfüllen. Also: Was wünscht Ihr Euch?«
    »Im Augenblick, mein lieber Senhor Miguel, bin ich wunschlos glücklich. Aber erinnert Euch an Euer Angebot. Es könnte sein, dass ich eines Tages darauf zurückkomme.«
    »Seid Ihr das? Glücklich?« Miguel legte den Kopf schräg und sah sie ernst an. »Könnte es nicht sein, dass Ihr zu bescheiden seid?«
    Amba wandte den Blick ab und betrachtete ihre Hände, die verschränkt auf dem Tisch lagen. Wie sollte sie ihm erklären, dass das Leben sie gelehrt hatte, hochfliegenden Visionen zu misstrauen? Er war so jung, und seiner Seele war nie Schaden zugefügt worden. Er würde es nicht verstehen. Er glaubte, die Welt gehöre ihm und er brauche nur mit dem Finger zu schnippen, um alle seine Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen. Es war dieses Selbstverständnis der Unbesiegbarkeit, das sie an ihm besonders reizvoll fand – und das schon seit jeher das tiefste Unglück über andere gebracht hatte. War sie zu bescheiden? Nein. Sie war nur fest im wahren Leben verankert.
    »Wir sollten zum Haus zurückkehren. Es wird jetzt sehr frisch hier draußen.« Amba stand auf und legte den Schleier wieder über ihr Gesicht.
    »Aber Ihr habt die Nachspeise noch nicht gekostet. Ohne sie kann Euer kleines Glück gar nicht vollkommen sein.«
    »Mein großes Glück ist, dass ich das Kleine zugunsten des großen Ganzen ignorieren kann.« Sie schob den feinen Vorhang beiseite und trat hinaus. »Es war ein wunderschöner Abend, und ich danke Euch von Herzen.«
    »Wartet!«, rief Miguel. Er sprang so abrupt auf, dass sein Stuhl umkippte, und lief ihr nach. Doch die plötzliche Bewegung bekam ihm nicht. Er spürte, dass ihm wieder schwindlig wurde. Er erreichte mit knapper Not den Banyanbaum, an dessen Luftwurzeln er sich festhalten musste, um nicht zu Boden zu sinken. Zwei der Wurzeln waren zu einer Art Schaukel miteinander verdreht, auf die er sich setzte.
    »Ist Euch nicht wohl?«, hörte er wie aus weiter Entfernung Dona Ambas Stimme. Doch, dachte er, doch, mir ist wohl, solange Ihr bei mir seid. Aber er brachte nichts mehr hervor.
    Amba war beunruhigt. Es war für ihn nach der langen Krankheit zu früh gewesen, um schon

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