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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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zutage tretender Bewunderung. Je länger er sie ansah, desto schöner fand er sie – sein Zustand ähnelte stark dem des Verliebtseins. Der Maharadscha wirkte als Einziger ehrlich neugierig. Er hob fragend die dichten schwarzen Brauen und forderte Uma mit einer knappen Geste auf, fortzufahren.
    Uma räusperte sich. »Ich weiß um die Impertinenz meiner Bitte. Aber … mehr als alles andere wünsche ich mir, dass Eure Hoheiten mir Glauben schenken. Meine Geschichte ist so abenteuerlich und so unglaublich, dass man sie kaum in wenige Worte kleiden kann. Ich bitte daher um das Privileg, die kostbare Zeit Eurer Gemahlin in Anspruch nehmen zu dürfen, um ihr von der Verkettung unglücklicher Umstände zu berichten, die meine, ähm, Schwiegermutter und mich im Wald Zuflucht suchen ließen. Ich möchte mich gern einer klugen, verständnisvollen und phantasiebegabten Frau anvertrauen – unter vier Augen.«
    Alle Anwesenden, die des Urdu mächtig waren und Umas Worte hatten verstehen können, hielten den Atem an. Der Maharadscha zögerte einen Augenblick. Ein so merkwürdiges Anliegen war ihm in den
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 Jahren seiner Regentschaft noch nie vorgetragen worden. Er sah seine Gemahlin an, die kaum merklich ein Zeichen ihres Einverständnisses gab.
    Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen.
     
    Uma berichtete. Sie nannte ihren echten Namen, Bhavani, und den ihrer Kinderfrau, Nayana. Sie erzählte von dem Übergriff auf ihren Vater, der nie zufriedenstellend hatte aufgeklärt werden können, und sie beschrieb die Torturen, denen sie und Nayana in Maneshs Haus ausgeliefert gewesen waren. Sie weinte bei der Erinnerung an ihren Bruder, und sie zeichnete mit Worten ein so exaktes Bild von ihm – und seiner Ähnlichkeit mit dem Prinzen –, dass sogar die Maharani feuchte Augen bekam. Uma ließ nichts aus. Sie trug mit versteinerter Miene die unaussprechlichen Dinge vor, die ihr Onkel mit ihr angestellt hatte. Weder schönte noch übertrieb sie.
    Die Maharani versuchte, sich ihr wachsendes Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Wenn auch nur die Hälfte dessen stimmte, was Uma beziehungsweise Bhavani ihr da erzählte, dann war es mehr, als ein junges Mädchen ertragen konnte. Als sie bemerkte, dass Umas Stimme zu brechen drohte, reichte sie ihr einen silbernen Becher mit süßem Zitronenwasser, damit sie sich wieder sammeln konnte.
    Uma fuhr fort mit der Schilderung ihrer Flucht und der anschließenden Wanderschaft. Sie erzählte von den guten Dingen, die ihnen widerfahren waren – von den barmherzigen Menschen, die ihnen geholfen hatten, genau wie von dem schönen Gefühl von Erdverbundenheit, das sie zuweilen verspürt hatten –, und von den schlechten Dingen. Verbitterung schlich sich in Umas Stimme, als sie von all der Verlogenheit, Habgier und Lüsternheit der meisten Menschen berichtete, mit denen sie in Berührung gekommen waren. »Wie hätten wir da jemals den Diamanten verkaufen können?«, schloss sie ihre Schilderung.
    »Du hast ihn noch?!«, rief die Maharani aus. »Aber der Edelstein hätte euch beiden ein unbeschwertes Leben ermöglicht!«
    »Ja, das hätte er wohl. Aber wie hätte uns ein Juwelier denn für etwas anderes als für Betrügerinnen halten sollen, so wie wir aussahen? Er hätte uns aufs Niedrigste verraten oder betrogen – und um nichts in der Welt wollte ich den Diamanten, der seit Menschengedenken im Besitz meiner Familie mütterlicherseits war, verscherbeln wie eine Glasmurmel.«
    Die Maharani starrte Uma ungläubig an. Bis hierher hatte sie alles, was die junge Frau ihr anvertraut hatte, geglaubt. Umas Haltung und ihre Sprache zeugten von einer hohen Kastenzugehörigkeit, so etwas konnte sich keine Hochstaplerin aneignen. Aber dass die beiden Flüchtigen lieber wie Parias gehaust hatten, als endlich eine Verbesserung ihrer Lebensumstände herbeizuführen, das schien ihr doch allzu phantastisch. Uma, die diese Reaktion vorhergesehen hatte, griff in ihren Ausschnitt und beförderte den Diamanten zutage, den sie erst am Vorabend aus dem sehr unappetitlichen Garnknäuel ausgewickelt hatte. Sie hielt ihn so gegen das Licht, dass sein Funkeln die Maharani blendete.
    »Das ist …« Zum ersten Mal fehlten der Fürstengemahlin die Worte. »Darf ich?«, fragte sie und streckte die Hand nach dem Stein aus.
    Uma reichte ihn ihr. Ehrfürchtig bestaunte die Maharani das kostbare Stück von allen Seiten. »Er ist wundervoll. Er muss ein Vermögen wert sein.«
    »Ja. Versteht Ihr nun, warum ich ihn nicht

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