Der indigoblaue Schleier
persönlich brachte Naschwerk, und der Feger kehrte Laub und abgebrochene Äste auf dem Rasen zusammen, um nur ja in der Nähe des Paars zu sein.
»Das ist auch etwas, an das Ihr Euch in Indien gewöhnen müsst. Die Leute haben keinerlei Scheu, ihre Neugier zu zeigen, und es kann zuweilen zäh werden, sie fortzuschicken. Aber ich denke, hier und heute lassen wir ihnen ihr Vergnügen. Was denkt Ihr?«
»Ich denke, wir könnten allmählich zum Du übergehen.«
»Gern. Ich wollte Euch, Verzeihung: dir, mit diesem Vorschlag den Vortritt lassen. Ich hätte es sonst selber schon angeregt.«
»Nun, mein lieber ›Verlobter‹, was hast du so Vertrauliches mit mir zu bereden?« Isabel schaute ein wenig verlegen zur Seite, als studiere sie ein botanisch besonders wertvolles Gewächs. Das Du kam ihr noch nicht leicht über die Lippen.
»Es geht um genau diese Verlobung. Wie sollten wir deiner Meinung nach in der Öffentlichkeit damit umgehen?«
»Wie schon? Wir leugnen, dass es eine Beziehung dieser Art zwischen uns beiden gibt. Mit der Wahrheit fährt man immer am besten.«
»Glaubst du? Ich habe das auch einmal gedacht. Aber in diesem speziellen Fall … ich weiß nicht. In deinem Interesse wäre es bestimmt besser, wir hielten den Anschein aufrecht, ich sei dein Verehrer.« Miguel räusperte sich. Auch er war verlegen. Wie sagte man einer schönen jungen Frau, der man freundschaftliche Gefühle entgegenbrachte, dass man sie nicht hofieren wollte? Er hatte Isabel in der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes liebgewonnen, und manchmal hatte er sich gar dabei ertappt, dass er sich ihre Fesseln vorstellte oder noch besser verborgene Stellen ihrer Anatomie. Er war schließlich kein Heiliger, und Isabel war eine wirklich appetitliche Person. »Wir beide wissen, dass zwischen uns nicht mehr ist als zwischen Geschwistern, und das soll auch so bleiben«, sprach er weiter. »Aber wenn sich herumspricht, dass ich dich verschmäht habe, dann ist dein Ruf ruiniert. Kein brauchbarer junger Mann in der Kolonie wird sich gern mit einem Mädchen einlassen, dessen Verlobung geplatzt ist.«
»Auf die Idee, ich könne dich verschmäht haben, wird wohl niemand kommen, oder?«, fragte Isabel giftig.
»Sei nicht ungerecht. Ich versuche dir entgegenzukommen. Mir selber würde eine aufgelöste Verlobung, die ja eigentlich nie stattgefunden hat, überhaupt nicht schaden, dir hingegen umso mehr.« Im Gegenteil, hätte er gern hinzufügen mögen, vor Amba stünde er wesentlich besser ohne eine Verlobte da. Doch das war er Isabel schuldig, dass er wenigstens ihren Ruf schützte. Sein eigener war eh schon zerstört. »Sieh doch einmal die Vorteile eines solchen Arrangements: Keiner würde dich schief ansehen, und du könntest tun und lassen, was du wolltest. Denn ich werde dir bei dem, was du in Indien vorhast, ganz bestimmt nicht im Wege stehen.«
Isabel schüttelte den Kopf, und Miguel war nicht sicher, ob es als verneinende oder als nachdenklich resignierte Geste gemeint war.
»Zunächst einmal fahre ich mit meinen Aufpassern nach Westen, in dieses Pangim, wohin offenbar die ganze Gesellschaft geflüchtet ist. Warten wir erst einmal ab, bis der Monsun vorbei ist, bis die Cholera ausgestanden ist und ich mich eingelebt habe. Wir könnten unterdessen versuchen, unsere Verlobung nicht gar zu sehr an die große Glocke zu hängen. Danach sehen wir weiter. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
Spontan sprang Isabel auf, lief zu Miguel und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
Juliana und Afonso Queiroz hinter ihrer Gardine im ersten Stock waren so gerührt, dass sie zum ersten Mal seit Jahren die Hand des anderen ergriffen und sie liebevoll drückten.
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43
F rei Martinho fand die Angelegenheit nicht sehr erheiternd. Das vertrauliche Grinsen des Senhor Sant’Ana empfand er daher nicht nur als unpassend, sondern auch als ärgerlich. Der Mann hätte heulen müssen, nach allen Misserfolgen, die er vorzuweisen hatte.
»Ihr hattet mir versprochen«, sagte der Inquisitor mit schneidender Stimme, »mir die gefährlichsten Ketzer der Kolonie zu liefern. Doch bisher habt Ihr nur meine Zeit und das Geld der Kirche vergeudet, indem Ihr harmlose Dienstmägde und ein paar Lumpengestalten verhaftet habt, Erstere wohl vor allem zu Eurer privaten Belustigung. Ich warne Euch: Wenn Ihr so weitermacht, wird es Euch bald selber an den Kragen gehen.«
»Ihr wollt mir drohen?«, fragte Carlos Alberto mit einem boshaften Lächeln. »Ich habe mir nichts zuschulden
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