Der indigoblaue Schleier
über die sie sich ärgerte. Dabei sah sie hinreißend aus in dem Kleid europäischer Machart, bei dem Dona Amba an nichts gespart hatte. Es war aus weißer Seide und über und über mit Glasperlchen bestickt. Die Schleppe war so lang, dass vier kleine Mädchen aus dem Dorf sie tragen mussten. Anuprabha sah aus wie eine Königin.
Vor dem Pfarrer sagten sie die auswendig gelernten Formeln auf. Als Trauzeugen dienten ihnen Jyoti und Dakshesh. Sie alle trugen fremdartige Kleidung, in der sie sich zwar nicht sehr wohl fühlten, die ihnen aber gerade dadurch ein Gefühl von Wichtigkeit verlieh.
Amba saß in der ersten Reihe und wurde das Gefühl nicht los, einer Theateraufführung beizuwohnen. Sie alle waren verkleidet und spielten Rollen, die sie gut einstudiert hatten. Einmal hatte Amba das Gefühl, dass der Padre ihr in stillschweigender Zustimmung zuzwinkerte, aber das mochte auch Einbildung gewesen sein. Neben ihr saß Nayana, die das Spektakel sichtlich genoss. Zwar hatte sie heftig protestiert, als Amba ihr von der geplanten katholischen Zeremonie berichtet hatte, aber nun, da die beiden Hauptdarsteller so feierlich vor dem Padre standen und einander die Ringe ansteckten – ganz ohne peinliche Zwischenfälle, wohlgemerkt –, da war sie so gerührt, dass sie sich andauernd die Augen abtupfen musste. Amba nahm Nayanas Hand und drückte sie. Die alte Kinderfrau erwiderte den Druck, sah Amba jedoch nicht an. Nicht den kleinsten Augenblick wollte sie ihren Blick von dem schönen Paar lösen, das auch eindeutig das Wohlwollen des dicklichen Priesters genoss.
In der Kirche waren etwa hundert Personen gewesen, die das junge Glück anschließend vor dem Portal alle persönlich begrüßen musste. Es dauerte ein paar Stunden, bis alle Glückwünsche und Ratschläge entgegengenommen waren. Dann erst stiegen die Brautleute in eine mit weißen Blüten geschmückte Kutsche und wurden nach Hause gefahren. Dies war für beide der Augenblick, den sie am meisten herbeigesehnt hatten. Für Makarand, weil er hoffte, hier nun endlich seinen ersten Kuss mit seiner Gemahlin tauschen zu können, und für Anuprabha, weil sie es genoss, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, und nun erstmals offiziell in einer Kutsche saß, aus der heraus sie den Leuten zuwinken konnte. Die lästigen Fummeleien und Küsse von Makarand wehrte sie entschieden ab.
Die Feier, die im heimischen Garten abgehalten wurde, war klein, aber wundervoll. Ein Zelt war aufgebaut und mit bestickten Tüchern sowie Blumen verziert worden. Darin waren Tische aufgebaut, auf denen sich die köstlichsten Speisen fanden, darunter natürlich auch die traditionellen indischen Hochzeitsdelikatessen. Als Gäste waren nur die Bewohner des Hauses, der Lehrmeister von Makarand samt Familie, einige ortsansässige Handwerker, die schon lange für Amba arbeiteten, sowie der Pfarrer eingeladen worden. Amba flüsterte Anuprabha zu, sie möge sich mit dem Umkleiden noch ein Weilchen gedulden. Erst wenn der Padre gegangen war, konnte sie ihren roten Sari anziehen.
Der Padre nahm Amba jedoch schon zu Beginn beiseite und flüsterte: Senhor Rui ist auf freiem Fuß. Er fragte, ob er sein Glück einer einbeinigen Tänzerin verdanke, und ich habe bejaht, weil ich es für den Ausdruck von Verwirrung hielt.«
»Ihr habt gut daran getan. Habt tausend Dank, Padre.«
»Nun, dann will ich Euch nicht länger mit meiner Gegenwart behelligen. Die Braut ist sicher schon ganz versessen darauf, einen Festtagssari anzuziehen.«
Amba lachte und nahm die Hand des Pfarrers. »Ihr seid ein guter Menschenkenner. Und ein gütiger Mann. Wenn alle katholischen Geistlichen Euer Format hätten, wäre ganz Indien innerhalb kürzester Zeit zum Katholizismus übergetreten.« Dann beugte sie sich über seine Hand und gab ihm einen Kuss darauf. Der Padre konnte nicht wissen, dass diese Geste etwas war, das Amba nie zuvor getan hatte und bei keinem anderen Menschen je tun würde. Dennoch verstand er ihre Bedeutung richtig.
»Ich wünsche Euch noch viel Vergnügen«, rief er, bereits im Gehen begriffen.
Amba winkte ihm zu und sah, wie er sich entfernte. Als er um die Ecke bog, dachte sie, dass er nicht einmal etwas getrunken oder gegessen hatte. Sie würde ihm morgen ein paar der Köstlichkeiten vorbeibringen lassen.
Das Fest war zwar klein, aber dessen ungeachtet fröhlich und ausgelassen. Das Brautpaar vollzog die wichtigsten Rituale einer Hindu-Hochzeit, wie etwa das, siebenmal um das Feuer zu schreiten,
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