Der indigoblaue Schleier
bevor die Musiker aufspielten und man sich über die Leckereien hermachte. Chitrani hatte sich selbst übertroffen, und sie heimste so viele Komplimente ein, dass sie ganz verlegen wurde. Erst mitten in der Nacht verließen die letzten Gäste das Fest.
Zu diesem Zeitpunkt waren Anuprabha und Makarand längst in das eigens hergerichtete Brautzimmer verschwunden. Es handelte sich um einen Raum im Dienstbotentrakt, der mit besonders aufwändigen
rangolis
aus Blütenblättern verziert worden war und in den man sogar ein richtiges Bett gestellt hatte. Anfangs hatten sie einander beklommen gegenübergestanden, hatten gedämpft die Stimmen und die Musik aus dem Gartenzelt gehört und nicht gewusst, wie jetzt zu verfahren sei. Schließlich hatten sie sich beide nebeneinander auf das ungewohnte Bett gesetzt und hatten die Füße baumeln lassen. Anuprabha hatte irgendwann ihre Füße hochgenommen, um sie zu massieren. Die Schuhe, die sie unter ihrem Brautkleid getragen hatte, waren ebenfalls europäischer Machart gewesen und hatten ihr Schmerzen bereitet.
Sanft hatte Makarand nach ihrem Fuß gegriffen. »Lass mich das machen.«
Anuprabha schämte sich, weil sie nicht die tradtionellen Henna-Ornamente trug, wie es sich für eine Braut gehörte, jedenfalls nicht an Händen und Füßen, wo sie dem Pfarrer und jedem anderen allzu deutlich ihre wahre Gesinnung verraten hätten. Die Innenseiten ihrer Schenkel jedoch hatte Jyoti kunstvoll bemalt, genauso wie ihre Brüste. Aber ob es jemals dazu käme, dass Makarand diese Stellen sah?
Er massierte ihre Füße sehr sanft, und kaum merklich ging seine Massage auch auf ihre Waden über. Wie von allein fanden sich schließlich ihre Körper, und Anuprabha empfand ein unerwartet tiefes Gefühl von Geborgenheit in Makarands Armen. Es wurde für beide eine schöne Hochzeitsnacht, die Harmonie einzig getrübt durch Anuprabhas Genörgel am nächsten Morgen, als sie fand, ihr Gemahl habe ihr eine heiße Milch ans Bett zu bringen, was Makarand aber überhaupt nicht einsah.
Natürlich erfüllte er ihr letztlich doch diesen Wunsch – und sollte es fortan an jedem Morgen ihres Ehelebens tun.
[home]
58
I sabel hatte den Jungen, den sie aus den Klauen seines Vaters gerettet hatte, mit nach Hause genommen, und Dona Juliana war so entzückt über den kleinen Paulo, dass Isabel ihn vorerst nicht ins Waisenhaus zurückbringen wollte. Nachdem der verängstigte Junge einige Nächte in Dona Julianas Bett hatte schlafen dürfen, schien er sich wieder zu fangen.
Isabel war zufrieden mit dieser Lösung, die allerdings nur vorübergehender Natur sein konnte. Bei Senhor Afonsos Rückkehr von seiner Forschungsreise würde man sehen, wie er das Kind aufnahm. Mindestens seine Seite des Ehebettes würde er jedenfalls zurückhaben wollen. Dass die ältere Dame sich so in den Jungen verliebt hatte und sich voller Hingabe den ganzen Tag lang mit albernen Kinderspielen beschäftigen konnte, hätte für Isabel ein Segen sein können, denn sie selber hatte bei ihrem impulsiven Handeln gar nicht daran gedacht, was sie sonst mit dem Kind angefangen hätte. Allerdings barg dieser Umstand den Nachteil, dass ihr nun wieder Zeit zum Nachdenken blieb.
Was sollte sie jetzt tun? Darauf hoffen, dass Miguel sich diese Amba aus dem Kopf schlug und wieder zu Verstand kam? Das hätte bedeutet, dass sie sich freiwillig mit einem Mann verlobte, von dem sie wusste, dass er sie nicht liebte. Dies verbot ihr jedoch ihr Stolz. Und wenn sie selber die Verlobung absagte? Dann wäre es wenigstens nicht sie, die bemitleidet werden würde. Miguel wäre frei zu tun, was er wollte, so irrwitzig es auch sein mochte. Sie war ja nicht seine Gouvernante. Sollte er doch mit seiner Amba durchbrennen, sollte er doch sehenden Auges in sein Unglück rennen. Genauso wenig wie sie eine Einmischung in ihr Leben wünschte, war sie befugt, Miguel in seine Pläne hineinzureden.
Gegen die Absage der Verlobung sprach allerdings, dass Frei Martinho dann wieder einen Vorwand hatte, Miguel zu verfolgen. Aber sie konnte sich doch nicht mit einem Mann verloben, nur um Gefahr von diesem abzuwenden. Sollten denn ihre Gefühle vor lauter Selbstlosigkeit auf der Strecke bleiben? Isabel grübelte und grübelte, doch sie kam nie zu einem Schluss, der für alle Parteien auch nur annähernd zufriedenstellend gewesen wäre. Sie musste mit Miguel reden.
Gleich am nächsten Tag ergab sich eine Gelegenheit, denn er wollte ihr und Dona Juliana einen Besuch abstatten,
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