Der indigoblaue Schleier
Bhavanis Kammer auf, die nur von außen verschlossen werden konnte.
»In der ganzen Stadt hat es sich schon herumgesprochen.«
»Was, lieber Onkel?« Bhavanis Stimme war belegt, verängstigt blickte sie auf ihre Füße.
»Was du für eine bist. Es wird sich kein einziger Mann mehr finden, der dich will. Nicht einmal der Abdecker hat Interesse, stell dir nur vor. Ohne Mitgift, mit dem Ruf einer ungehorsamen Furie. Und nicht mehr jungfräulich …«
»Aber, lieber Onkel Manesh, du weißt doch, dass das alles nur erfunden war, um …«
»Ich weiß das. Aber alle Welt glaubt das Gegenteil. Nun, dann wollen wir dafür sorgen, dass die anderen recht behalten.« Er trat näher auf Bhavani zu, legte eine Hand auf ihre Schulter und ließ seinen Blick an ihr hinunterwandern.
Bhavanis Verstand hatte noch nicht ganz die Bedeutung seiner Worte erfasst, als Manesh ihr zuraunte: »Deine Unberührtheit war ein kostbares Gut, das es zu schützen galt. Aber jetzt …« Damit riss er ihr brutal das Hemd vom Leib und warf sie zu Boden. Eine Hand presste er fest auf ihren Mund: »Ein Laut, und du stirbst.«
Bhavani schwieg.
Sie sollte zwei Jahre lang schweigen, bevor sie es erneut wagte, aufzubegehren.
[home]
16
M iguel erwachte. Er sah sich in dem Raum um und hatte zunächst keine Ahnung, wo er sich befand.
Im selben Augenblick hörte er ein energisches Klopfen an der Tür.
»Herein?«, sagte er zögerlich.
»Ah, du bist wieder bei dir. Wir hatten uns echte Sorgen …«, sagte Sidónio und schüttelte besorgt den Kopf.
Jetzt fielen Miguel die Ereignisse, die ihn in diesen Raum geführt hatten, wieder ein: Im Gewitter hatte sein Pferd gescheut; er war gestürzt und hatte sich verletzt; Dona Amba hatte ihn aufgelesen und bei den Mendonças abgeliefert; im Haus seiner Freunde hatte man ihn verarztet und ins Bett gepackt. Und dort lag er nun.
»Wie spät ist es?«, fragte er.
»Kurz nach Sonnenaufgang.«
»Soll das heißen ..?!« Miguel stöhnte verärgert auf. »Warum habt ihr mich nicht eher geweckt?«
»Undank ist der Welt Lohn«, mischte sich nun Álvaro ein, der in der Tür neben seinem Bruder erschienen war. »Wir wollten, dass du dich von den Abenteuern des gestrigen Tages erholst. Du hast eine sehr hässliche Verletzung am Bein erlitten und konntest ohnehin nicht weiterreiten.«
»Der Stallknecht hat dein Bein provisorisch geschient«, sagte Sidónio, »aber keine Bange. Er hat es schon oft bei den Gäulen getan und … Nun ja, der Doutor Alvarinho kommt trotzdem demnächst und sieht es sich an.«
»
Bom dia,
Miguel«, meldete sich nun auch Delfina zu Wort, die auf den Zehenspitzen stand und über die Schultern ihrer Brüder ins Gästezimmer lugte. »Glaub den beiden kein Wort. Um dein Bein steht es nicht so schlimm, und gebrochen ist es sicher nicht. Aber um nichts in der Welt wollen wir dich ziehen lassen, bevor du uns nicht die ganze Geschichte von deiner Begegnung mit Dona Amba erzählt hast. Und wehe, du lässt auch nur ein winziges Detail aus.«
»Lasst ihn in Ruhe!«, hörte man nun vom Flur her Dona Assunçãos Stimme. »Und Senhor Miguel?«, rief sie über die Köpfe ihrer Kinder hinweg.
»Ja?«
»Ihr seid bestimmt wegen meines Briefs hier?«
»Ja.« Jetzt, da sie es sagte, fiel es Miguel wieder ein. Der Brief, in dem sie ihn knapp über die Machenschaften Carlos Albertos informiert hatte, war in der Tat der Anlass seines Besuchs gewesen.
»Dann findet Euch, sobald Ihr aufgestanden seid und gefrühstückt habt, bei mir ein, damit ich Euch den Rest erzählen kann.«
Miguel brummte eine Zustimmung, bevor er die drei Geschwister verscheuchte. Dann stand er auf, merkte aber schnell, dass er sich ohne Hilfe nicht einmal allein anziehen konnte. Er klingelte nach einem Diener. Dieser brachte ein Tablett mit einem Imbiss mit, den Miguel in Windeseile vertilgte. Als er sich frisch genug fühlte, der Hausherrin unter die Augen treten zu können, humpelte er am Arm eines anderen Dieners nach unten.
Dona Assunção kam direkt zur Sache. »Eine sehr gute Bekannte hat mir erzählt, Euer Freund – wenn er es denn ist, was ich arg bezweifle – habe ihr einen Backenzahn des heiligen Eusébio zum Kauf angeboten. Auf ihre Frage, wie er zu einer solchen Rarität komme, habe er Euch erwähnt.«
Miguel starrte Dona Assunção fassungslos an. Er wollte nicht glauben, was er hörte, musste sich jedoch eingestehen, dass es höchstwahrscheinlich der Wahrheit entsprach. Carlos Alberto hatte ja tatsächlich
Weitere Kostenlose Bücher