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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Land abgesehen. Sein Geschäftshaus in der Hauptstadt liegt unmittelbar neben der Kathedrale, das wollen sie sich schnappen.«
    »Mäßige dich, Delfina!«, fuhr Dona Assunção ihre Tochter an. »Willst du Senhor Chandra im Kerker Gesellschaft leisten?«
    »Aber es ist so ungerecht! Kann man denn nichts unternehmen?«
    Dona Assunção schüttelte resigniert den Kopf. Sie hatte oftmals den Impuls gehabt, schützend einzugreifen, wenn die Kirche sich allzu unverhohlen der Besitztümer wohlhabender Inder bemächtigen wollte. Doch nachdem sie vor Jahren beinahe selbst zum Opfer der Inquisition geworden wäre, hatte sie es aufgegeben. Genau wie alle anderen sah sie tatenlos zu und hoffte, ihre eigene Familie bliebe verschont. Im Übrigen hatte Sanjay Chandra mit ziemlicher Sicherheit für genau diesen Tag vorgesorgt. Er würde ein Vermögen an einem geheimen Ort gehortet haben, auf den die Kirche keinen Zugriff hatte, und er würde seiner Familie einen Fluchtplan ausgearbeitet haben. Das Schlimmste, was passieren würde, war, dass er öffentlich dem Hinduismus abschwören musste und für seine nicht begangenen Sünden Abbitte leistete, indem er sein begehrtes Grundstück im Stadtzentrum »freiwillig« der Kirche überschrieb.
    Gerecht war das nicht, aber es war kein Weltuntergang. Immerhin verwendete die Kirche die Vermögen, die sie sich solchermaßen einverleibte, sinnvoll. Sie errichtete Schulen, Hospitäler und Waisenhäuser, sie baute weitere Gotteshäuser und trug so zur Verbreitung des einzig wahren Glaubens bei. Und dass das Christentum die einzige zivilisierte Form von Religiosität war, davon war Dona Assunção, bei aller Toleranz und Weltoffenheit, fest überzeugt. Sosehr sie auch über die Auswüchse falsch verstandener Gläubigkeit frotzelte, so war sie doch durch und durch Katholikin. Ihre Tochter würde auch noch lernen, dass es auf Dauer zum Besten aller war, was die Kirche hier trieb – genau wie sie lernen musste, ihr Temperament zu zügeln.
    »Ich wollte ohnehin aufbrechen«, meldete sich Miguel zu Wort. Er hatte nicht das Verlangen, einem Streit zwischen Mutter und Tochter beizuwohnen. »Ich danke Euch, dass Ihr mir wegen Sant’Anas Umtrieben Bescheid gegeben habt«, sagte er zu Dona Assunção, bevor er sich Delfina zuwandte. »Und wir sehen uns hoffentlich nächste Woche, bei dem Maskenball bei den Pereiras?« Mit einer Verbeugung, die trotz seines noch nicht gänzlich wiederhergestellten Beins recht elegant ausfiel, verließ er den Raum und war froh, einer intensiveren Befragung zum Thema Dona Amba aus dem Weg gegangen zu sein.
     
    Er war entschlossen, den Mann, den er für seinen Freund gehalten hatte, zur Rede zu stellen. Doch als er dessen Stadtwohnung erreichte, traf er niemanden dort an, und keiner der Nachbarn und Dienstboten konnte ihm über den Verbleib des Senhor Sant’Ana Auskunft erteilen. Schon beim letzten Mal hatte er Carlos Alberto nicht auffinden können. Nun, da er wusste, was der andere hinter seinem Rücken trieb, wunderte es Miguel nicht, dass Carlos Alberto sich verleugnen ließ.
    »Ich weiß, wo er steckt, Senhor«, vernahm er eine Stimme hinter sich. Abrupt wandte Miguel sich um. Er brauchte einen Augenblick, um das Gesicht außerhalb der Umgebung, in der er es kennengelernt hatte, einordnen zu können. Dann fiel es ihm ein. »Crisóstomo!«
    »Zu Diensten, Senhor.«
    »Was treibst du hier am helllichten Tag? Vernachlässigst du deine Arbeit? Senhor Furtado wird sehr erzürnt sein.«
    »Die Herrschaften sind außer Haus und kommen nicht vor dem frühen Abend zurück. Als ich Euch vorbeireiten sah, da dachte ich, ähm …«
    »Du dachtest …«
    »Ja, also, dass ich Euch beweisen könnte, dass ich mich unsichtbar machen kann. Lasst mich Euch zu dem Ort führen, an dem Senhor Carlos Alberto sich aufhält. Es ist nicht weit von hier. Und, wenn ich Euch um einen Gefallen bitten dürfte?«
    »Ja?«
    »Macht Euch nicht bemerkbar. Sprecht ein anderes Mal mit ihm.«
    Miguel fragte sich, was und wie viel der Bursche wusste. Es hatte den Anschein, als sei er über viele Dinge in der Kolonie auf dem Laufenden, die ihm selber bisher verborgen geblieben waren. Erstaunlich, wenn man bedachte, dass Crisóstomo sein Leben auf dem Fußboden fristete, durch eine Schnur mit dem Ventilator verbunden. Er nickte dem Jungen zu und folgte ihm schweigend. Sein Pferd ließ er an der Straßenkreuzung vor Carlos Albertos Haus zurück.
    Nach wenigen Minuten erreichten sie die Kirche Santo

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