Der indigoblaue Schleier
konnte Anuprabha ja nicht in ihrem Haus bleiben und traurige Lieder summen. Und als Haushaltsvorstand oblag es ihr, Amba, einen geeigneten Mann auszusuchen, dem sie das Mädchen anvertrauen konnte. Das war angesichts der Umstände keine so leichte Aufgabe. Ein Hindu aus einer höheren Handwerkerkaste würde die junge Frau wegen ihrer dubiosen Herkunft nicht wollen. Bei einem Bauern dagegen wäre sie nicht gut aufgehoben, denn dort wurden Arbeitstiere gebraucht, keine Schönheiten, die im Tanz und in der Kunst der Hennamalerei bewandert waren und obendrein eine so melancholische Ader hatten. Allein der Gedanke, Anuprabhas zarte Finger, die ihr jetzt so gekonnt die Hände kneteten, könnten sich an einem Kuheuter zu schaffen machen, ließ Amba schaudern.
»Habe ich zu fest gedrückt, Ambadevi?«, fragte Anuprabha schuldbewusst.
»Aber nein, meine Kleine, du machst das wunderbar. Ich habe nur nachgedacht. Über dich.«
»Ach?«
»Denkst du manchmal daran, wie es wäre, einen Mann und Kinder zu haben?«
»Wollt Ihr mich fortschicken, Herrin? Was habe ich mir zuschulden kommen lassen?« Anuprabhas schöne Stimme zitterte.
»Nicht, mein Kind, beruhige dich. Mir war nur, als sei es dir manchmal einsam ums Herz. Und in deinem Alter ist es normal, wenn man heiratet und eine Familie gründet. Da du keine Eltern mehr hast, die sich darum kümmern, muss ich diese Aufgabe übernehmen.«
»Ich will nicht heiraten.«
»Das wirst du aber müssen. Noch hast du Einfluss auf die Wahl des Ehemannes. Wenn dir keiner gut genug ist, musst du die Auswahl mir überlassen.« Amba hatte nicht vor, das Mädchen zu etwas zu zwingen, was es partout nicht wollte. Andererseits musste sie ihr bewusst machen, dass das Leben, das sie hier führte, auf Dauer keine Perspektive bot. »Hast du einen Verehrer, mit dessen Eltern ich mich einmal unterhalten soll?«
»Nein.« Ein störrischer Unterton hatte sich in Anuprabhas Stimme geschlichen.
»Das glaube ich nicht. Eine Schönheit wie du …« Das war sie tatsächlich, fand Amba. Wenn ihre Herkunft einen Makel darstellte, so machte sie diesen durch ihr Aussehen mehr als wett. Wenn dann noch Einwände gegen die Braut bestünden, würde sie eben die Mitgift aufstocken.
»Nun ja, Makarand stellt mir nach«, gestand das Mädchen.
»So?« Amba wusste davon, wollte sich jedoch nichts anmerken lassen.
»Er klettert nachts in den Bäumen vor dem Haus herum. Da!«, sie hielt in ihrer Massage inne. »Habt Ihr es auch gehört? Da hat es schon wieder so verdächtig geknackt und geraschelt. Bestimmt ist er es wieder. Wie ein Äffchen turnt er da draußen herum, nur damit er einen Blick auf mich erhaschen kann, wenn er glaubt, dass ich glaube, ich sei allein oder in Gedanken versunken.«
Amba hatte das Geräusch ebenfalls gehört. Es konnte ein Tier sein, oder eine herabfallende Kokosnuss. Dennoch spitzte sie die Ohren. Ihr waren heimliche Beobachter ebenso unangenehm wie dem Mädchen.
»Außerdem ist er viel zu jung für mich. Ihm wachsen nicht einmal richtige Barthaare, und seine Brust ist so knochig wie die eines hungrigen Kindes. Dann hat er noch die …«
»Psst!« Amba mochte sich die Litanei von Makarands Nachteilen nicht anhören, jedenfalls nicht jetzt, da sie draußen nun wirklich jemanden vermutete.
Die beiden Frauen schwiegen und horchten angespannt. Da, wieder ein Knistern, direkt aus dem Banjanbaum vor der Veranda. Und dann, aus der Ferne, die unverwechselbare Stimme Makarands: »… für fünf Paisa mehr bringe ich dir die doppelte Menge mit. Überleg es dir.«
Der Junge feilschte mal wieder mit der Köchin. Er saß ganz gewiss nicht im Baum und beobachtete das Haus. Nur: Wer saß dann darin?
Amba wurde von schrecklichen Vorahnungen überfallen. Sie entzog Anuprabha ihren von Duftölen glänzenden Arm und legte sich den Schleier über den Kopf. Schweigend, nur durch Gesten, gab sie dem Mädchen zu verstehen, alle Lampen im Raum zu löschen. Im Dunkeln verharrten die beiden reglos und lauschten. Doch kein weiteres Geräusch drang zu ihnen. Amba hörte nur das leise Rauschen des Windes in den Baumkronen, den schnelleren Atem des Mädchens, das direkt neben ihr stand, und ihren eigenen heftigen Herzschlag.
Was, wenn sie sie gefunden hatten?
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18
D er Maskenball bei den Pereiras war einer der gesellschaftlichen Höhepunkte des Jahres. Mehr als 200 Gäste waren geladen, und alle waren in aufwendige Kostüme gekleidet, die das Motto des Balls, »
As conquistas portuguesas
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