Der indigoblaue Schleier
Ich bin in Euren Augen ein Dieb – da ist der junge Crisóstomo doch bestens bei mir aufgehoben.« Nach einem kurzen Zögern fügte er noch die eigentlich überflüssige Frage hinzu: »Was genau hat Euer
punkah wallah
Euch denn gestohlen?«
Furtado verdrehte die Augen. Ihm war deutlich anzusehen, was ihm durch den Kopf ging, nämlich dass der junge Senhor Miguel offenbar die elementarsten Grundprinzipien eines Dienstverhältnisses nicht verstanden hatte. Es kam schließlich nicht auf den Wert des Gegenstandes an, den der Dieb entwendet hatte, sondern allein darauf, dass er es überhaupt gewagt hatte, sich am Eigentum seines Dienstherrn zu vergreifen. Dennoch beantwortete er die Frage.
»Er hat die goldene Kordel samt dem goldenen Ring, mit dem sie an seinem Fuß befestigt war, gestohlen.«
Miguel konnte nicht anders: Er lachte lauthals, und zwar so herzhaft, dass der kleine Panjo vor Begeisterung an ihm hochsprang und aufgeregt bellte.
Wenig später begegnete Miguel dem Übeltäter, der ihm, wie es schien, aufgelauert hatte.
»Nehmt Ihr mich nun in Eure Dienste, Senhor?«, platzte Crisóstomo gleich heraus.
»Warum sollte ich einen Dieb beschäftigen wollen?« Miguel setzte eine strenge Miene auf. »Du gehörst ins Zuchthaus, nicht ins Solar das Mangueiras.«
»Aber … aber ich dachte …«
»Was? Dass du für deine billigen Manöver auch noch belohnt werden würdest? Nun, da hast du dich leider verkalkuliert.«
»Einen Hund nehmt Ihr auf und verwöhnt ihn wie ein Kind, aber einen Menschen behandelt Ihr wie einen Hund.« Crisóstomo zog die Mundwinkel verächtlich nach unten. Dann, als habe er bemerkt, dass Verachtung nicht der diplomatischste Weg war, um sein Ziel zu erreichen, lächelte er Miguel an und warf ihm einen herzerweichenden Welpenblick zu. »Senhor Miguel, ich flehe Euch an. Ich werde Senhor Furtado die gestohlenen Dinge zurückbringen. Ich würde sogar wieder als
punkah wallah
arbeiten, aber überlasst mich um Gottes willen nicht meinem Schicksal. Wo soll ich denn hingehen? Niemand wird mich einstellen. Und was wird dann aus meinem kleinen Bruder?«
»Vielleicht hättest du dir all diese Gedanken vorher machen sollen. Aber schön, ich werde dir eine Chance geben.«
Beinahe wäre Crisóstomo ihm um den Hals gefallen, doch er besann sich noch rechtzeitig der guten Sitten und blieb mit gesenktem Haupt vor seinem neuen Dienstherrn stehen. »Danke, Senhor.«
»Wann kannst du anfangen?«
»Sofort, Senhor.«
»Hast du noch Dinge, die dir gehören, in Furtados Haus?«
»Nur meine Schlafmatte und ein wenig Kleidung, Senhor.«
»Und wo ist das Diebesgut?«
»Hier, Senhor.« Crisóstomo zog die Kordel und den Ring aus der Tasche, die in seinen
dhobi,
seine weiße Wickelhose, eingenäht war.
»Gut. Ich schlage vor, wir begeben uns sofort dorthin. Du bringst diese Sachen zurück, entschuldigst dich in aller Form bei der Senhora, holst deine Habseligkeiten und kommst dann gleich mit mir zum Solar das Mangueiras. Dort wirst du zunächst als
punkah wallah
eingesetzt.«
»Jawohl, Senhor.«
Und so geschah es. Gemeinsam gingen sie zu Furtados Wohnhaus und machten Senhora Furtado ihre Aufwartung. Ihre Stimme überschlug sich vor Empörung, doch Miguel konnte sie zumindest so weit besänftigen, dass sie Crisóstomo ziehen ließ. Dann ritten sie die Strecke zurück, der Hund ganz vorn in seinem Sattelkörbchen, dahinter Miguel, dahinter Crisóstomo, der seine Aufregung darüber, dass er erstmals auf einem so großen Pferd saß, kaum verbergen konnte.
In den Dörfern, die sie passierten, reckte der Bursche den Hals, als wolle er sicherstellen, dass ihn auch ja jeder sah, wie er da so wichtig hinter dem hochgestellten Herrn saß. Er beglückwünschte sich für seine Entscheidung, den Diebstahl begangen und ausgerechnet sein »Arbeitswerkzeug« mitgenommen zu haben. Er hatte instinktiv gewusst, dass ihm das die Sympathien von Senhor Miguel einbringen würde.
Wenige Tage nach seinem Dienstantritt auf dem Solar das Mangueiras wurde Crisóstomo in das Arbeitszimmer des Hausherrn gerufen.
»Ich werde eine längere Reise machen. Ich brauche einen Burschen, der mich begleitet und der alles an Arbeiten erledigt, was ich ihm auftrage. Alles.«
»Jawohl, Senhor. Ich bin genau der Richtige dafür, Senhor.«
»Du musst die Pferde versorgen, mein Nachtgeschirr leeren und das Zelt ausfegen. Du musst auch die allerniedrigste Arbeit gut erledigen, ohne je darüber zu murren. Deine Kastenzugehörigkeit
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