Der indigoblaue Schleier
interessiert mich nicht. Wenn eine Aufgabe dir unter deiner Würde erscheint, dann sag es mir jetzt.«
»Ich tue alles für Euch, Senhor.«
Miguel glaubte ihm. Er wollte auf seine Reise nicht einen ganzen Tross von Dienern mitnehmen, wie es andere vornehme Portugiesen und auch Inder taten, nur weil es für jeden Handgriff einen anderen Zuständigen gab. Er wollte mit leichtem Gepäck und wenig Leuten unterwegs sein, um flexibel und wendig zu bleiben.
»Kannst du kochen? Kannst du waschen? Kennst du dich im Umgang mit irgendeiner Waffe aus?«
»Kochen kann ich nur so, wie wir es zu Hause tun, nicht die Sachen, die Ihr esst. Aber meine
chapattis
sind die besten! Waschen kann ich, ich musste früher immer meiner Mutter dabei helfen. Und eine Waffe, hm, nun ja … ich bin nicht schlecht mit der Steinschleuder.«
Das reichte aus, befand Miguel. Er konnte schließlich kaum erwarten, dass ein einzelner Bursche in allen Bereichen brillierte. Aber er wollte gern jemanden dabeihaben, der vielseitig einsetzbar wäre und der nachts auch einmal Wache halten konnte. Eine Steinschleuder erfüllte durchaus ihren Zweck, wie die Bibel ja bereits lehrte.
»Na schön. Du kommst mit.«
»Danke, Senhor«, sagte Crisóstomo, verbeugte sich und drehte sich schnell um, um den Raum zu verlassen. Er wollte seinen Herrn nicht sehen lassen, dass seine Augen angesichts seines großen Glücks ganz feucht wurden.
Dass seine Auswahl zum Reisebegleiter Senhor Miguels vielleicht nicht nur Glück versprach, kam ihm gar nicht in den Sinn. Erst Wochen später erinnerte er sich dieses Tages – und verfluchte ihn.
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20
A mba hatte ihre Spuren gut verwischt. Es war praktisch unmöglich, dass ihre Häscher sie hier aufgestöbert haben sollten. Sie hatte ihre Vergangenheit abgestreift wie eine Schlange ihre Haut, und sie hatte sie weit hinter sich gelassen. Selbst wenn ihre Verfolger sie in Goa vermuteten, eine wochenlange Reise entfernt von ihrer einstigen Heimat, würden sie wohl kaum auf die Idee kommen, bei der angesehenen Dona Amba könne es sich um die von ihnen Gejagte handeln. Dennoch beschlichen Amba Zweifel. Was, wenn ein dummer Zufall sie auf ihre Fährte gelockt hatte? Was, wenn einer ihrer Dienstboten, vielleicht unbewusst, etwas ausgeplaudert hatte?
Aber nein. Wenn sich ihre Verfolger tatsächlich in Goa aufhalten sollten, wäre es ihr längst zu Ohren gekommen. Sie sprachen eine fremde Sprache, entstammten einer vollkommen andersartigen Kultur. Sie würden durch ihre Kleidung und durch ihr Gebaren auffallen, sie würden die Dienste eines Dolmetschers in Anspruch nehmen und in einer Herberge absteigen müssen. All das würde es ihnen unmöglich machen, sich leise und unauffällig an ihre Beute heranzupirschen. Sie wären schon von weitem zu erkennen, und Amba hätte genügend Zeit, um sich in Sicherheit zu bringen.
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie eines Tages genötigt sein sollte, schnell die Flucht zu ergreifen, hatte sie vorgesorgt. Es gab einen unterirdischen Gang, der aus ihrem Haus in den Wald führte. Nur sie und ihre
ayah
Nayana kannten diesen Tunnel. Die Arbeiter, die ihn gebaut hatten, stammten aus der Region, in der die Indigo-Plantage lag. Amba hatte sie für die geheimen Bauarbeiten hierhergeholt und sofort danach zurück in ihre Heimat bringen lassen. Während ihrer Anwesenheit in Goa hatten die Männer keinerlei Möglichkeit gehabt, jemandem etwas von dem Gang zu verraten, was nicht zuletzt an ihren mangelnden Sprachkenntnissen lag. Und auch im Osten des Landes stellten sie keine Gefahr dar: Sie würden niemals zurück an den Ort finden, an dem sie den Tunnel gegraben hatten. Außerdem waren ihre Familien auf der Plantage beschäftigt, und sie würden sich keinen Gefallen erweisen, wenn sie die Geheimnisse ihrer Herrin ausplauderten.
Der Zugang zu dem unterirdischen Fluchtweg war in Ambas Schlafzimmer hinter einem großen Wandgemälde der Göttin Parvati verborgen, das sich durch einen speziell angefertigten Mechanismus zur Seite schieben ließ, ohne dass Schienen oder Rollen sichtbar gewesen wären. Hinter diesem Bild befand sich ein Hohlraum, der bei flüchtiger Betrachtung für eine geheime Schatzkammer gehalten werden konnte und in dem Amba tatsächlich ein paar Schmuckschatullen deponiert hatte, um mögliche Verfolger auf die falsche Fährte zu locken. In ihrer Gier würden die Jäger nur Augen für die Kostbarkeiten in dieser versteckten Kammer haben – und höchstwahrscheinlich übersehen,
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