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Der Infekt

Der Infekt

Titel: Der Infekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe A. O. Heinlein
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Krankenhaus angetreten. Dort hatte man gerade einen qualifizierten Mann für das medizinische Labor gesucht, und qualifiziert, weiß Gott, das war er.
    Lundquist atmete tief durch. Ernestine Claytons Bild ließ ihn immer noch nicht los: Blutüberströmt hatte er sie im Bett ihres New Yorker Apartments aufgefunden; tot, erschossen. Und am Tag zuvor war er noch der glücklichste Mensch der Welt gewesen. Nach mehr als sechs Jahren hatte er sie wieder getroffen, und beide hatten sich wieder ineinander verliebt, so intensiv, wie sie beim lange zurückliegenden Abschied gefühlt hatten. Und damit hatte er sie in die Affäre um Martha McKinley hineingezogen; einen Tag später hatten die Schweine Ernestine ermordet. Er fühlte sich schuldig; nach wie vor. Obwohl sein damaliger Kollege und späterer Freund Idwood Green immer wieder versucht hatte, ihm das auszureden. Lundquist fuhr sich mit der Hand über die Augen. Vorbei ist vorbei, Junge, versuchte er sich Mut zu machen; es ist alles nicht mehr zu ändern. Auch die Flucht aus der vertrauten Welt, die ihm so unerträglich verdorben und korrupt erschienen war, auf diese malerische Insel im Ionischen Meer ließ sich nicht mehr rückgängig machen, obwohl sie sein Innerstes nicht hatte ändern können. Mitunter packte ihn doch das Verlangen nach der Großstadt, nach der Hektik, nach vielen Leuten und auch, das mußte er sich eingestehen, nach dem Geheimdienstjob. Obwohl ihm sein letzter Auftrag so viel genommen hatte.
    Lundquist nahm einen Schluck aus der Karaffe. Irgendwann würde er zurückkehren müssen. Aber das hatte noch Zeit.
    Er öffnete seine Aktentasche, um sich seinem Hobby zu widmen: der Lektüre der internationalen Presse. Er hatte sich angewöhnt, jeden Tag mehrere ausländische Zeitungen zu studieren. Das war informativ und half darüber hinaus, die Sprachkenntnisse aufzufrischen. Deshalb las er pro Tag neben englischsprachigen Blättern zumindest eine französische und eine spanische Zeitung.
    Heute begann er mit der Londoner Times, von der er ungefähr ein Drittel schaffte; dann war er eingeschlafen.
    Knapp anderthalb Stunden später weckte ihn ein Klopfen an der Tür. Lundquist reckte sich verschlafen und rieb sich die Augen. Blinzelnd warf er einen Blick auf die Wanduhr.
    Kurz nach sechs.
    Es klopfte wieder. Das konnte eigentlich nur die alte Maria Alexakis von nebenan sein. Sie kümmerte sich rührend um Lundquists Wohlbefinden und brachte jeden Abend frische Milch und Ziegenkäse.
    Am Anfang war ihm ihre Fürsorge mitunter lästig gefallen, aber nachdem ihm Giorgios Kafatos von gegenüber erzählt hatte, daß Marias Mann und ihre beiden Söhne vor elf Jahren von einer Fangfahrt mit ihrem kleinen Fischerboot nicht zurückgekehrt waren, hatte er sich nicht mehr gewehrt.
    Er schwang sich von der Hängematte und ging zur Tür.
    »Hallo, Maria«, grüßte er freundlich.
    »Hallo, Stanis«, erwiderte die Alte würdevoll und ging an Lundquist vorbei in die Küche, um die Milchkanne und den in ein Tuch eingewickelten Käse abzustellen.
    »Brauchst du Brot oder sonst etwas?« fragte sie, während sie bereits wieder zur Haustür ging.
    »Nein, Maria, danke. Ich habe alles.« Lundquist sah ihr nach. Sie mußte eine wunderschöne Frau gewesen sein. Ihre Grazie war auch heute, da sie weit über siebzig war, noch unübersehbar.
    »Schlaf gut, Stanis«, sagte sie und zog die Haustür zu.
    Lundquist goß sich ein Glas Milch ein und biß ein Stück vom Käse ab. Dann kehrte er in den Wohnraum zurück, öffnete die Terrassentür und legte sich draußen auf das alte Sofa in die Abendsonne, wo er sich wieder der Lektüre der Times widmete. Die Zikaden begannen zu zirpen. Zehn Minuten und ein Glas Milch später war er auf Seite 16 angelangt. Die Kurzmeldung in der unteren rechten Ecke traf ihn wie ein Strahl aus dem Wasserwerfer und spülte die Beschaulichkeit des griechischen Sommerabends in Sekundenbruchteilen hinweg.
    An der englischen Westküste, im Fährhafen Holyhead, hatte sich zwei Tage zuvor eine Palette mit Zeitungen, die von einem Kran auf die Fähre nach Dun Laoghaire in Irland geladen werden sollte, aus ungeklärten Gründen von der Stahlhalterung gelöst und war auf eine Gruppe Menschen gestürzt, die sich auf dem Weg an Bord befanden. Das Unglück hatte zwei Tote und sechs Verletzte gefordert.
    Bis dahin handelte es sich um eine nahezu alltägliche Meldung, die die Aufmerksamkeit des langen Australiers nicht über die Maßen hätte wecken müssen. Der Grund für

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