Der Infekt
möglicherweise einige interessante Telefonnummern verewigt.« Plötzlich fiel ihm etwas ein. Was war er doch für ein Idiot! Wenn Charles Kossoff der kleinen Fotografin so nahegestanden hatte, daß er ihr Einblick in sein Familienfotoalbum gewährt hatte, mußte er ihr doch auch erzählt haben, in welchem Labor er vor Yale gewesen war.
»Ms. Pafka, hat Ihnen Charles gesagt, wo er geforscht hat, bevor er hierhergekommen ist?«
»Sicher«, nickte die junge Frau, während sie dem Engländer die Filmrolle in die Hand drückte. »Er war in der Abteilung für Molekulare Virologie des Imperial College in London.«
»Wenn ich Sie richtig verstehe, ist er also von London aus direkt hierhergekommen?«
Sie nickte.
Alle Wetter, dachte Green, manchmal läuft der Hase ganz anders, als man denkt. Er fuhr sich mit der Hand über den Stoppelbart. Warum hatte Kossoff ihr verschwiegen, daß er zwischendurch woanders gewesen war?
»Ich glaube, Sie haben recht, Ms. Pafka. Irgendwas ist hier faul. Aber ich werde versuchen herauszufinden, was.« Er griff in die Tasche, holte einen Kugelschreiber hervor, griff sich ein Blatt von Kossoffs Schreibtisch und notierte die Nummer seines Postfachs in der Londoner Hauptpost und die dazu gehörende korrekte Anschrift.
»Falls Ihnen noch etwas ein- oder auffallen sollte, schreiben Sie mir einen Expreßbrief an dieses Postfach in London, haben Sie verstanden? Und passen Sie auf sich auf! Ich muß heute abend wieder zurück nach England.«
»Was hat das alles zu bedeuten, Mr. Green? Ein Postfach. Keine Privatadresse, keine Telefon- oder Faxnummer? Wer sind Sie, Mr. Green, und was ist hier vorgefallen?«
Der Engländer faßte sie an den Oberarmen. »Ich hoffe, ich kann Ihnen auf beide Fragen bald eine Antwort geben. Bis dahin kann ich Sie nur bitten, Vertrauen zu mir zu haben.«
Katie Pafka musterte ihn lange. Dann atmete sie tief durch. »Ich werde es versuchen … ich werde es versuchen.«
Montevideo, Uruguay
D as Gebäude der Staatsoper im Herzen von Montevideo erstrahlte nach umfangreichen Renovierungsarbeiten in neuem Glanz. Und auch das Kulturministerium wollte da nicht zurückstehen und hatte als Geschenk für die Stadt Nikolaus Harnoncourt engagiert, um mit der Aufführung von Mozarts Zauberflöte den repräsentativen Bau wieder zu eröffnen.
Bei der Höhe der Eintrittspreise war allerdings schon vorher abzusehen gewesen, daß das Ereignis nur betuchten Bürgern vorbehalten war. Diese Einschätzung ließ sich durch einen Blick auf die Autos der Premierenbesucher bestätigen. Auf dem weißen Kiesweg vor der Freitreppe des Hauptportals und auf dem Parkplatz hinter der Oper wimmelte es von Nobelmarken wie Rolls-Royce, Ferrari, Bentley, Mercedes, Porsche und ähnlichem.
Entsprechend opulent fiel auch die Beköstigung der Gäste während der Pause aus. Champagner, Kaviar, Lachs und Austern wurden am Büfett angeboten, und die Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur delektierten sich wohlgelaunt an den Köstlichkeiten.
An der Champagnerbar stand der Innenminister und unterhielt sich mit Professor Manuel Roldan, einem landesweit bekannten Mediziner. Der Chefarzt des Zentralkrankenhauses von Montevideo hatte den Minister im vergangenen Jahr komplikationslos von einem entzündeten Blinddarm befreit und erfreute sich seitdem der besonderen Wertschätzung des Politikers. Die Unterhaltung der beiden Männer wurde allerdings gestört, weil der Minister am Telefon verlangt wurde und sich deshalb entschuldigend von seinem Arzt verabschiedete.
Professor Roldan wandte sich von der Bar ab und wollte zum kalten Büfett hinüberwechseln, als ihm ein alter Bekannter über den Weg lief.
Dr. Jorge Santos-Cruz und er hatten zusammen studiert und einige Zeit ihrer frühen Arztkarriere zusammen verbracht. Santos-Cruz bekleidete inzwischen eine ähnlich bedeutende Position wie sein ehemaliger Kommilitone Roldan, war er doch der Leiter des Obersten Gesundheitsamtes des Landes.
»Guten Abend, Jorge!« Manuel Roldan breitete zur Begrüßung die Arme aus. »Schön, dich hier zu treffen. Gefällt dir die Aufführung?«
Santos-Cruz erwiderte die herzliche Begrüßung und nickte anerkennend. »Ja, wunderbar. Die Akustik im Saal ist nach der Umgestaltung wirklich hervorragend. Ich habe selten eine Oper so genossen wie heute abend, nicht zuletzt auch wegen Harnoncourt. Ein außergewöhnlicher Dirigent, wirklich, und eine imponierende Aufführung.«
»Du hast recht, Jorge. Er ist genau der
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