Der Infekt
Auf der anderen Straßenseite, etwa dreißig Meter hinter ihr, ging ein Mann. Hatte sie den nicht schon gesehen, als sie aus der Pizzeria herausgekommen war?
Angela rann ein kalter Schauer über den Rücken. Ihre gute Laune von vorhin war verflogen. Die Angst der Reise hatte sie wieder eingeholt.
Einige Meter weiter warteten einige Leute an einer Haltestelle. In dem Moment, als sie die Wartenden erreichte, hielt auch der Bus. Kurz entschlossen stieg sie ein. Die Türen schlossen sich, und der Fahrer gab Gas. Angela blickte besorgt aus dem Fenster. Dann atmete sie auf. Der Mann von der anderen Straßenseite war nicht mit eingestiegen.
An der übernächsten Haltestelle verließ sie den Bus und wartete am Straßenrand auf ein leeres Taxi. Nach wenigen Minuten konnte sie einen Wagen anhalten und ließ sich zum Hotel zurückfahren. Als sie den Fahrer bezahlt hatte und ausgestiegen war, blickte sie sich sorgfältig um. Der Mann von vorhin war nirgendwo zu sehen.
Eilig betrat sie das Hotel und ließ sich vom Portier den Schlüssel geben. In ihrem Zimmer angelangt, ließ sie sich mit einem erleichterten Seufzer aufs Bett fallen. Hoffentlich war sie bald zurück in London. Ihre Nerven machten das nicht mehr lange mit. Sie schloß die Augen; ihre Erschöpfung war so groß, daß sie bald einschlief.
Draußen dämmerte es schon, als sie erwachte. Es dauerte einige Sekunden, bis sie sich erinnerte, wo sie überhaupt war.
Dann wurde ihr klar, was sie geweckt hatte: Auf der Holztreppe des Hotelflurs waren Schritte zu hören!
Erschreckt fuhr Angela vom Bett hoch und schlich mit leisen Schritten zur Tür.
Die Schritte klangen jetzt anders. Das Geräusch kam nicht mehr von der Treppe, sondern näherte sich auf dem Flur. Angela hätte vor Anspannung am liebsten laut geschrien. Sie preßte die Hand vor den Mund und hielt den Atem an.
Das Geräusch der Schritte verstummte direkt vor ihrer Zimmertür.
O mein Gott, flehte sie, hilf mir!
Es klopfte.
Der jungen Frau blieb fast das Herz stehen. Hilflos löste sie sich von der Tür und wich in das Zimmer zurück.
Es klopfte erneut.
»Hallo, Angela, bist du da? Sag doch was!« Jeanne!
Angela raste zur Tür und riß sie auf. Der Anblick ihrer Freundin trieb ihr die Freudentränen in die Augen.
»Jeanne, mein Gott, du bist es wirklich!«
Jeanne Lumadue nahm sie erschrocken in die Arme. »Angela, um Himmels willen, beruhige dich! Was ist denn passiert? Du bist ja völlig fertig!«
Sie schob die schluchzende Freundin ins Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Es dauerte einige Minuten, bis Angela sich beruhigt hatte.
»Ach, Jeanne, es war schrecklich. Ich hatte solche Angst. Ein Glück, daß du da bist!«
Jeanne nickte. »Ich bin sofort nach Idwoods Anruf losgefahren. Er hat allerdings nicht viel erzählt. Warum bist du überhaupt nach Paris geflogen?«
Mit leisen, stockenden Worten versuchte Angela, ihre Freundin über die Gründe für die ungewöhnliche Reiseroute aufzuklären. Nachdem ihr das wenigstens einigermaßen gelungen war, blickte ihr Jeanne besorgt in die Augen. »Und Idwood ist also dageblieben, um sich noch ein bißchen umzusehen? Dieser Verrückte! Hoffentlich ist er vorsichtig! Wie dem auch sei, wir fahren sofort zurück. Ich habe für die Rückreise eine Passage mit der Nachtfähre von Calais nach Dover gebucht. Das Schiff geht um 1.30 Uhr.« Sie sah auf die Uhr. »Das ist in vier Stunden. Wir müssen uns ein wenig sputen, aber wir können es schaffen. Es sind knappe dreihundert Kilometer nach Calais. Also pack deinen Kram und dann los!«
Fünfzehn Minuten später saßen sie in Jeannes grauem Honda, und eine gute Stunde vor Abfahrt der Fähre erreichten sie Calais und fuhren mit dem Auto an Bord.
Am frühen Vormittag waren sie in London und gönnten sich in Jeannes Wohnung eine heiße Dusche und eine Tasse Kaffee. Dann rief Jeanne beim Daily Mirror an und eröffnete ihrem Chefredakteur, daß sie nicht ins Büro kommen könne. Er machte ihr zwar ein paar hilflose Vorhaltungen, aber da er Jeanne nicht nur als Mitarbeiterin sehr schätzte, ergab er sich wie immer in sein Schicksal.
»Hoffentlich meldet sich Idwood bald!« sagte Jeanne zu Angela, als sie es sich im Wohnzimmer bequem gemacht hatten. »Ich bin äußerst gespannt, was er zu berichten hat!«
San Diego, Kalifornien, USA
D er silberne Rolls-Royce rollte nahezu geräuschlos über den Roosevelt Boulevard. Die blonde Frau im Fond blätterte in einigen Unterlagen, die sie einer dünnen Aktentasche aus
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