Der Infekt
Krokodilleder entnommen hatte.
Margo de Keyser war erst sechsunddreißig Jahre alt und eine der mächtigsten Persönlichkeiten der internationalen Nahrungsmittelbranche. FunFries Industries dirigierte unter anderem immerhin viertausend Schnellrestaurants in aller Welt. Die in diesen Restaurants angebotenen Menüs waren zum Wahrzeichen amerikanischer Eßkultur geworden, auch wenn vielerorts versucht wurde, den häufigen Verzehr dieses so genannten Junk Food als ernährungsphysiologischen Wahnsinn zu verunglimpfen.
Vor drei Jahren hatte Margo de Keyser die Leitung des Unternehmens von ihrer Mutter übernommen, die sich nach dem Tod ihres Mannes physisch und psychisch nicht in der Lage gesehen hatte, die Geschicke eines solch umfangreichen Konzerns zu lenken. Margo fühlte sich dazu allerdings fähig. Die Herren des Direktoriums wollten das zunächst nicht glauben, aber nachdem sie an einigen zu anmaßenden Kritikern ein Exempel statuiert hatte, waren die übrigen Spitzenmanager vorsichtiger geworden. Außerdem mußten sie mit der Zeit anerkennen, daß ihre junge Chefin einen ausgesprochenen Riecher dafür besaß, wie man Unternehmensstrategie und Marketing am effizientesten einsetzte, um einen maximalen Gewinn zu erzielen. Und was noch viel wichtiger war: Margo de Keyser zeigte eine unbeugsame, nahezu wilde Entschlossenheit, wenn es darum ging, ihre einmal getroffenen Entscheidungen in die Tat umzusetzen.
»Ich bewundere die moralischen Fähigkeiten von Idealisten«, hatte ihr Vater einmal zu ihr gesagt, »aber ich kenne keinen Idealisten, der es je zu viel Geld gebracht hätte. Man hat die Wahl.«
Und Margo hatte gewählt. Eine in ihren Augen unerläßliche unternehmerische Maßnahme war noch nie an moralischen Gesichtspunkten gescheitert. Eine solch konsequente Sicht der Dinge verlangte sie auch von ihren Mitarbeitern. Sinn eines großen Unternehmens konnte nur sein, maximalen Gewinn zu erzielen, und wer dabei halbherzig oder zart besaitet zu Werke gehen wollte, wurde von ihr mit Verachtung gestraft. Solche Leute waren entweder zu feige zuzugeben, daß sie ihren hochdotierten Job aus Geld- und Machtgier gewählt hatten, oder ihnen waren die Einsichten von Margos Vater verschlossen geblieben. Beides war gleich schlecht.
Der silberne Rolls-Royce hatte das Ziel seiner Fahrt erreicht. Der Chauffeur lenkte das fast lautlos laufende Fahrzeug in die Tiefgarage des FunFries- Building . Die fünfunddreißigstöckige Konzernzentrale war erst vor zehn Jahren erbaut worden, eine Sinfonie aus Glas und Metall. Im obersten Geschoß der Tiefgarage, in dem die leitenden Angestellten ihre Fahrzeuge parkten, waren sogar die Wände mit Marmor verkleidet. Im hinteren Teil dieses Parkdecks, der für Margo de Keysers Wagen reserviert war, sorgten kristallene Wandlampen und von Spezialleuchten beschienene Grünpflanzen für ein luxuriöses Ambiente.
Der Chauffeur brachte den Silver Shadow mit einer sanften Betätigung des Bremspedals zum Stehen und stieg dann aus, um seiner Chefin die Tür zu öffnen. Ein holzverkleideter Privataufzug brachte sie in wenigen Sekunden in ihr verschwenderisch ausgestattetes Büro, wo sie sich noch einmal mit den Unterlagen für die Direktoriumssitzung beschäftigte. Die Entscheidung über das Marketingkonzept für das neue Menü stand auf der Tagesordnung. Dazu gehörte eine Präsentation von Blanchard & Petit, einer der erfolgreichsten Werbeagenturen der Welt, die sie mit der Entwicklung des Werbekonzepts beauftragt hatte.
Es klopfte.
Margo de Keyser betätigte einen Knopf auf ihrem Schreibtisch, und die schalldichte Tür schwang automatisch auf. Ihr Chefsekretär trat herein. »Guten Morgen, Ms. de Keyser«, grüßte er lächelnd und legte ihr die Unterschriftenmappe auf den Tisch. »Darf ich fragen, wie es Ihnen geht?«
»Danke, Zachary, ausgezeichnet!« erwiderte sie und klappte die Mappe auf. »Gibt es etwas Neues?«
»Ja, Ms. de Keyser«, nickte der junge Sekretär, der auch als männliches Model eine passable Figur abgegeben hätte. »Das Kartoffelkartell in Ohio hat unser Angebot jetzt endgültig akzeptiert. Das bedeutet, daß wir auch in Ohio die French Fries vor Ort produzieren können und dadurch die Frachtkosten einsparen.«
Margo de Keyser sah ihn erfreut an. »Sehr gut, Zachary, sehr gut. Ich wußte, daß Sie es schaffen würden.«
Zachary Mount leitete seit gut zwei Jahren das Chef-Sekretariat und hatte sich durch konsequent erfolgsorientierte Arbeit die Anerkennung seiner Chefin
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