Der Infekt
unauffälligen Rundgängen durch die Labortrakte war er auf Abteilungen gestoßen, die man nur mit speziellen Ausweisen betreten durfte. Natürlich hatte er sich beim Mittagessen mit Kollegen darüber unterhalten, was nicht besonders auffallen konnte, da er ja neu in der Firma war. Angeblich wurden bei Interclone auch Forschungsarbeiten im Regierungsauftrag durchgeführt, die strikter Geheimhaltung unterlagen. Lundquist war es allerdings bisher nicht gelungen herauszufinden, um welche Regierung es sich dabei handelte. Aber er ging davon aus, daß Blunstone in seinem Büro entsprechende Unterlagen aufbewahrte. Und eben die wollte er sich heute nacht einmal ansehen.
Jeannes Ankunft hatte ihn ziemlich schockiert. Jeanne Lumadue! Hier bei Interclone! In Begleitung von Efrem Blunstone!
Zunächst hatte Stan an fortgeschrittene Halluzinationen gedacht. Aber auch wiederholtes Hinsehen und Kneifen konnten die offensichtliche Tatsache nicht aus der Welt räumen, daß Jeanne hier in Limerick war. Was, zum Kuckuck, machte sie hier? Ganz so offen und direkt war der Anlaß für ihren Besuch offenbar nicht, denn sie hatte sich verhalten wie eine professionelle Verschwörerin. Sie hatte ihn kurz mit großen Augen gemustert, dann freundlich gegrüßt und sofort wieder die Konversation mit Efrem Blunstone aufgenommen. Lundquist hatte sich im Labor erst einmal setzen müssen. Der Schreck steckte ihm tief in den Gliedern. In Anbetracht dessen, was Stephen Montgomery zugestoßen war, hätte ihn diese Begegnung ganz schön in Teufels Küche bringen können.
Aber Jeanne hatte ihn natürlich erkannt, kein Zweifel. Und sie würde Idwood sicher sofort nach ihrer Rückkehr davon erzählen. Deshalb hatte sich der Australier dafür entschieden, seinem englischen Freund reinen Wein einzuschenken und einen Brief nach London abgesandt.
»Schönen Abend noch, Dr. Lundquist«, rief einer der Mitarbeiter durch die halb geöffnete Tür und strebte der Sicherheitsschleuse am Ende des Gangs entgegen.
»Danke, Mr. Conlan«, rief ihm der Australier nach. Endlich! Zehn Minuten länger, und Lundquist hätte das Ganze wieder verschieben müssen. Er sah auf die Armbanduhr. 18.50 Uhr. Es wurde höchste Zeit.
Stan nahm seinen Aktenkoffer in die Hand und folgte Conlan, der bereits durch die Schleuse verschwunden war. Er nahm seine Magnetkarte aus der Brusttasche des Oberhemds und führte sie in den Schlitz des elektronischen Lesegeräts ein. Es dauerte keine zwei Sekunden, bis der Computer die Echtheit der Karte geprüft hatte und die automatische Schiebetür aus Edelstahl öffnete.
Lundquist drückte die Eingangstür des Laborgebäudes auf und ging langsam über den Kiesweg auf das Wachhaus zu. Dort tat zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Mann der firmeneigenen Sicherheitsmannschaft Dienst. Seine Arbeit wurde von drei ziemlich scharfen Schäferhunden unterstützt, die zwischen den Gittern des stacheldrahtbewehrten Doppelzauns um das Firmengelände patrouillierten.
Der Australier blieb am Fußgängertor direkt neben dem Wachhaus stehen und bemühte erneut seine Magnetkarte. Dabei nickte er dem Wachhabenden freundlich zu.
»Guten Abend, Sir!« meinte der Wachmann. »Ein langer Tag heute, was?«
Lundquist nickte. »Das kann man so sehen. Leider ist es nicht der einzige lange Tag in dieser Woche. Die Arbeit frißt einen manchmal auf.«
»Wem sagen Sie das, Sir? Etwas mehr Freizeit wäre … äh, ist etwas mit Ihnen, Sir?« Er sah Lundquist forschend an.
Der stand wie erstarrt vor ihm und starrte auf einen Punkt vor seinen Füßen. Wie aus einem tiefen Traum erwachend, hob er den Kopf und schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Oje«, lamentierte er, »jetzt habe ich doch tatsächlich vergessen, die Elektrophoresegeräte auszustellen.« Ohne auf eine Antwort zu warten, drehte er sich um und lief mit schnellen Schritten durch die Sperre zurück in Richtung Laboratorium.
Der akustische Signalgeber im Wachgebäude begann zu piepen. Normalerweise mußte man die Magnetkarte vor dem Betreten des Geländes einschieben, damit jederzeit feststellbar war, wer sich seit wann innerhalb des gesicherten Zauns aufhielt. Und genau das wollte Lundquist vermeiden. Deshalb blieb er auch nicht stehen, als er den Wachmann hinter sich rufen hörte, sondern setzte seinen Weg in leichtem Trab unbeirrt fort, bis er den Eingang des langgestreckten, flachen Hauses erreicht hatte.
Der Kerl am Eingang reagierte zum Glück so, wie Stan sich das vorgestellt hatte: Kopfschüttelnd sah
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