Der Infekt
Schlüsseln in der Schachtel lag. Dann führte er den unbearbeiteten Schlüssel in den Zylinder ein. Die Stellen, an denen der Rohling hakte, ließen sich als Abdrücke im Puderfilm erkennen. Er holte die Schlüsselfeile aus der Jackentasche, spannte den Rohling ein und feilte ein Stück ab.
Der vordere Teil des unfertigen Nachschlüssels ging nun schon ein wenig weiter hinein. Stan wiederholte diese Prozedur geduldig, wieder und wieder. Um 0.46 Uhr paßte der Schlüssel und ließ sich im Zylinder drehen, mit Mühe zwar, aber immerhin. Lundquist schloß Blunstones Tür auf und schlüpfte ins Büro. Er führte den Nachschlüssel von innen ins Schloß, um die Tür abzuschließen. In einer Viertelstunde machte der Wachmann wieder seinen Rundgang.
Der Schlüssel klemmte.
Lundquist atmete tief durch.
Jetzt bloß keine Panik, befahl er sich. Erneut begann er das störrische Schließwerkzeug geduldig zu bearbeiten. Endlich paßte er auch von innen. Lundquist verriegelte die Tür und wischte sich dann den Schweiß von der Stirn. Das war knapp, dachte er erleichtert. 1.03 Uhr. Im Flur ging das Licht an.
Der Australier wagte kaum zu atmen. Er blieb regungslos stehen, bis der Wachmann alle Türen kontrolliert und sich auf den weiteren Weg gemacht hatte. Dann knipste er seine kleine Taschenlampe an und widmete sich den Unterlagen, Terminkalendern und Telefonverzeichnissen auf Blunstones Schreibtisch.
Das konnte er unmöglich alles durchlesen oder abschreiben. Also fotografieren! Der Mikrofilm in der kleinen Spezialkamera faßte maximal zweiundsiebzig Aufnahmen. Das mußte reichen.
Lundquist ließ den Strahl der Taschenlampe durch das Büro streifen. Die Kamera besaß keinen Restlichtverstärker, und er brauchte deshalb wohl oder übel ein wenig Licht zum Fotografieren, aber so, daß der Wachmann nicht darauf aufmerksam wurde. Die Fenster von Blunstones Büro lagen zwar auf der dem Wachhaus abgewandten Seite des Flachbaus, aber Lundquist wollte nicht das geringste Risiko eingehen. Aber wie? Wie?
Endlich kam ihm ein zündender Gedanke. Er rückte einen Stuhl ans Fenster und stieg darauf. Dann zog er eine der dunklen Übergardinen aus der Führung und breitete sie auf der Schreibtischplatte aus. Die Enden hingen herunter und bildeten so mit dem Freiraum zwischen den beiden Schubladenelementen eine Art Höhle. Lundquist ergriff Blunstones Schreibtischlampe und bugsierte sie unter die Tischplatte in sein provisorisches Fotolabor. Dann knipste er sie versuchsweise an. Der Lichtschein war durch die Übergardine kaum zu bemerken. So konnte es gehen, wenn der Wachmann nicht gerade draußen direkt vor dem Fenster vorbeiging. Stan nahm Blunstones Unterlagen und kroch unter den Schreibtisch. Nach knapp zehn Minuten hatte er die interessantesten Seiten fotografiert. Vorsichtshalber schaltete er seine behelfsmäßige Fotolampe wieder aus und machte eine kurze Pause, um im Dunkeln auf etwaige Geräusche zu lauschen. Es blieb alles vollkommen ruhig.
Nun denn, dachte er, suchen wir nach den Geschäftsunterlagen. Er leuchtete mit der Taschenlampe zur Tür an der Kopfseite des Raums. Vom Flur aus konnte man dort nicht hinein. Möglicherweise fand er dort, was er suchte. Lundquist nahm sein Einbrecherbesteck und machte es sich vor der Tür bequem. Dann begann er mit der mühsamen Herstellung des nächsten Nachschlüssels.
Das Timing war gut: Fünf Minuten vor dem 2-Uhr-Kontrollgang war die Tür offen. Erleichtert lehnte er sich an den Türpfosten und wartete regungslos, bis der Wachmann wieder verschwunden war.
Nach einer kurzen Sicherheitsfrist trat er in den Nebenraum und sah sich im fahlen Schein der Taschenlampe um.
Volltreffer!
Metallene Aktenschränke, und gleich eine ganze Wand voll.
Die Schubladen waren natürlich auch verriegelt; zwar nur durch je ein Schloß pro Schrank, aber immerhin. Vielleicht kam er hier mit einem der Spezialdietriche aus. Er öffnete das flache Ledermäppchen und wählte eines der dünnen Feinwerkzeuge. Nach einigem Probieren hatte er den Bogen heraus. Die Schubladen ließen sich widerstandslos aufziehen.
Im dritten Schrank wurde er fündig. Lundquist fühlte, daß sich auf seinen Handflächen ein leichter Schweißfilm bildete. Gespannt ging er die einzelnen Rubriken durch. Die meisten der Firmen, mit denen Interclone zusammenarbeitete, kannte der Australier vom Namen her. Es handelte sich ausschließlich um große und mittlere Pharmazie-, Chemie- und Biochemiefirmen, für die Interclone
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