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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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wandten sich mit von abergläubischer Furcht geprägten Mienen ab.
    Hael hatte keine Lust, umzukehren und sich einem weiteren langweiligen Abend in der kleinen Stadt zu stellen, deren einzige Daseinsberechtigung ihre Lage am westlichen Ende eines der wenigen Gebirgspässe war. Die eng beieinander stehenden Gebäude waren meist nichts als Lehmhütten, die nur ein einziges Zimmer hatten und zum Schutz vor der Kälte halb in der Erde verborgen lagen. Dichte Rauchwolken stiegen aus den Öffnungen in den torfgedeckten Dächern gen Himmel.
    Hael sah sich gezwungen, den Elementen etliche Zugeständnisse zu machen. Er trug jetzt eine Jacke und Beinkleider aus feinstem Leder, die mit gewebten Quilhaaren gefüttert waren. Nie zuvor hatte er eine derartige Kleidung besessen, aber schließlich war er auch nie solcher Kälte ausgesetzt gewesen.
    Wieder beschlich ihn das eigenartige Gefühl, und diesmal vermochte er es zu erfassen. Der Wind hatte sich gedreht und brachte ein wenig wärmere Luft mit sich, die von Süden kam. Der Frühling kündigte sein Kommen an. Mit einem Freudenschrei trieb Hael sein Cabo den Hang hinab, der Stadt entgegen. Nun mussten sie doch nicht ewig hier ausharren, wie er es insgeheim schon befürchtet hatte. Der Schnee würde schmelzen, die Pässe begehbar werden, und sie konnten aufbrechen, das Gebirge überqueren und sich dem unbekannten Wagnis stellen.
    Leider dauerte die Zeit bis zur Schneeschmelze länger, als Hael gehofft hatte. In den folgenden vier Wochen ertönte das Dröhnen der Lawinen beinahe ohne Unterlass, während sich ganze Berge ihrer weißen Last entledigten. Zur Zeit der Schneeschmelze verwandelten sich Gebirgsbäche in reißende Ströme. Die Menschen nutzten die Tage, um sich vermehrt um die Tiere zu kümmern. Sie führten letzte Ausbesserungsarbeiten ihrer Ausrüstung durch. Die Kereels waren schon vor langer Zeit entlohnt worden und hatten sich mit ihren Nusks davongemacht, da sie den Winter im Hochland verabscheuten. Shong heuerte einheimische Viehtreiber an und kaufte neue Packtiere. Es handelte sich um eine zottige, hornlose Nuskrasse, die bedeutend friedlicher als ihre Verwandten aus der Tiefebene war. Ihre kleinen Hufe eigneten sich außerdem viel besser zum Betreten der schmalen Gebirgspfade.
    Endlich nahte der Tag, an dem- Shong den Befehl zum Aufbruch erteilte. Inzwischen zeigten sich bereits die ersten Blumen auf den Wiesen, und das Vieh kehrte auf die hochgelegenen Weiden zurück, nachdem es den Winter im Tiefland verbracht hatte. In den ersten Tagen verzehrte sich Hael vor Ungeduld, als die Karawane den Bergführern folgte, bei denen es sich um Einheimische handelte, die ihnen zu Fuß vorausschritten. Endlich ging es weiter! Jede Hast wäre unsinnig gewesen, denn die Pfade waren meist schmal und trügerisch und grenzten an gähnende Abgründe. Je höher sie stiegen, umso kälter wurde es, und wieder und wieder stießen sie auf vereiste Wege. Nachdem ein paar Männer und Tiere umgekommen waren, hatte auch Hael nichts mehr gegen das langsamere Vorantasten einzuwenden.
    Wann immer sie rasteten oder ihr Nachtlager aufschlugen, zog der Junge einen angespitzten Stab aus dem Gürtel und zeichnete Buchstaben auf den Boden. Er spürte, dass man durch die Schrift ebenso viel Macht ausüben konnte wie durch Waffen oder Armeen. Er hatte erst begonnen zu begreifen, dass man Wissen nicht nur vermitteln, sondern auch sammeln konnte, spürte aber instinktiv, wie wichtig es war. Die Buchstaben bereiteten ihm keine Schwierigkeiten, denn ein jeder stand für einen Laut, und aus diesen Lauten bildete man Worte. Zahlen waren nicht so einfach. Man musste sich zwar nur zehn merken, sie aber auf verschiedene Arten miteinander verbinden, um immer höhere Beträge zu bekommen. Daher sah Hael das Rechnen als Herausforderung an, die er zu meistern gedachte.
    Als sie den Gipfel des Berges erreichten, wurden die Führer entlohnt und machten sich auf den Heimweg. Die Zurückbleibenden fühlten sich ein wenig verlassen. Die Luft hier oben war recht dünn, und das führte dazu, dass die Männer unaufmerksam und nachlässig wurden. Hin und wieder kam es sogar vor, dass sie Dinge sahen, die gar nicht vorhanden waren.
    Nachdem sie den Gipfel hinter sich gelassen hatten und sich an den Abstieg machten, erblickte Hael eines Tages eine Erscheinung, die er zuerst auch für eine Halluzination hielt, hervorgerufen durch die dünne Luft und die Müdigkeit, die der mühselige Weg durch die Berge mit sich

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