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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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schmalen, unsicheren Pfaden durchzogen wurde. Wenn sich keine Verzögerung ergab, konnten sie noch vor Sonnenuntergang ebenen Boden unter den Füßen haben.
    »Und wenn ihre Verfolger auftauchen?« fragte Hael.
    »Dann übergeben wir sie ihnen. Schließlich sind wir nicht hier, um zu kämpfen.«
    »Nein«, sagte Hael und umklammerte die Frau sogleich fester.
    »Ach, so ist das. Du wirst allmählich ein richtiger Kaufmann. Nun gut, dann verkaufen wir sie ihnen.«
    »Ich behalte sie«, erklärte der Junge.
    Shong setzte eine unwillige Miene auf. »Mein lieber junger Freund, das ist kein Fisch, den du da gefangen hast und behalten kannst, weil er die richtige Größe hat. Das ist eine Frau. Vielleicht hat sie einen Besitzer oder gar einen Ehemann. Frauen laufen oft vor dem einen oder dem anderen davon. Ich werde diese Expedition nicht in Gefahr bringen, weil du Gefallen an einem verhungerten und halberfrorenen Flüchtling gefunden hast.« Er schwieg eine Weile. »Lass mich sie anschauen«, bat er dann.
    Hael zog die Kapuze fort und hielt sie, wie eine Mutter ihr schlafendes Kind halten würde.
    »Hmm. Nicht übel, das muss ich zugeben. Und ihre Kleidung ist von guter Machart; keineswegs wie die einer Sklavin.« Er seufzte. »Ich glaube, du möchtest den Helden spielen. Wenn es Verfolger gibt, die sie zurückhaben wollen, werde ich nicht versuchen, sie zu behalten, sollten diese Leute stark und angriffslustig sein. Wenn du unbedingt etwas Närrisches tun willst, dann sorge dafür, dass es uns andere nicht betrifft.«
    »Einverstanden«, stimmte Hael zu.
    Als sie den Abhang überwunden hatten und die ersten sanften Hügel oberhalb der großen Ebene erreichten, verschwand die Sonne hinter dem eben überwundenen Berg. Die Temperatur stieg urplötzlich an, und sobald sie anhielten und absaßen, wurden die schweren Mäntel und Umhänge, Jacken und Beinkleider abgelegt, zusammengerollt und in den Packtaschen verstaut, wo sie wahrscheinlich bis zum nächsten Winter bleiben würden. In dieser Gegend hatte der Frühling bereits Einzug gehalten, und emsig summende Bienen schwirrten über die blumenübersäten Wiesen. Cabos und Nusks wurden angepflockt und machten sich genüsslich über das frische Gras her. Während der langen Reise durch das Gebirge waren die Tiere ein wenig abgemagert, und Shong hatte den Viehtreibern strengen Befehl erteilt, sie erst zu füttern und zu tränken, wenn sie sicher angebunden waren.
    Schon bald prasselten die Lagerfeuer, und einige Reiter machten sich auf die Suche nach Wild. Die meisten jedoch waren zufrieden, am Feuer zu sitzen und die Wärme zu genießen. Hael sorgte dafür, dass sein Schützling auf weiche Decken gebettet lag und ging dann zu einem nahe gelegenen Bach hinüber. Wenige Wegminuten bachaufwärts entdeckte er den kleinen See, an dem auch das Vieh getränkt worden war, und legte seine Kleider ab.
    Das Wasser war kalt und erzeugte eine Gänsehaut, aber er biss die Zähne zusammen und watete hinein. Seit dem Herbst hatte er die beengende Kleidung tragen müssen und sich wie ein Gefangener gefühlt. Er schrubbte sich mit dem feinen Sand, der den Boden bedeckte, ab, tauchte einige Male unter Wasser und wusch sich das Haar.
    Als er sich sauber genug fühlte und die Kälte nicht länger ertragen konnte, kletterte er das flache Ufer hinauf und ließ sich von den letzten Sonnenstrahlen trocknen. Dann legte er zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder das Nachtkatzenfell, das Schwert und den Dolch an, nahm den Speer in die Hand und fühlte sich wieder ganz wie er selbst.
    Als Hael zum Lager zurückkehrte, sah ihm Shong entgegen. »Es ist noch ein bisschen zu kalt für derartige Kleidung«, fand er.
    »Es hat mich fast erstickt, die Haut und das Haar von so vielen Tieren tragen zu müssen. Jetzt trage ich zur Abwechslung meine eigene und das Fell meines Totemtieres. Wie steht es mit meiner Gefährtin? Hat sie schon ein Lebenszeichen von sich gegeben?«
    Shong blickte zu dem Bündel unweit des Feuers hinüber. »Nein, bloß ein gelegentliches Stöhnen und regelmäßige Atemzüge, das war alles. Sie kann von Glück sagen, überhaupt noch atmen zu können. Es muss sie Tage gekostet haben, die Stelle zu erreichen, an der du sie fandest, auch wenn wir nur einen einzigen Tag für die gleiche Strecke bergab brauchten.«
    »Glaubst du, wir sollten sie wecken und ihr zu essen geben?«
    Shong zuckte die Schultern. »Lass sie besser erst einmal in Ruhe. Ich bezweifle, dass sie kräftig genug ist, unsere

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