Der Insulaner
siehst also, dass der Herr Pashir recht hatte: Ich sehe Dinge, die den meisten zivilisierten Menschen nicht auffallen, aber es ist noch mehr als nur das.« Er überlegte, um die nächsten Worte sorgfältig zu wählen. »Ich sehe, welche Form Dinge annehmen können. Ich sehe, was sich aus den Taten der Menschen ergibt und wie sich alles um die Geister dreht. Deshalb muss ich mit euren Häuptlingen sprechen.«
Gedankenversunken schritt Afram neben ihm. »Nun«, erklärte er schließlich, »ich kann nicht alle Häuptlinge erreichen, aber viele würden kommen, nur um mir einen Gefallen zu tun – ungefähr ein Drittel von ihnen. Das wären die Anführer der größten und wichtigsten Dörfer.«
»Das wird reichen«, antwortete Hael, der den langen Speer als Wanderstab benutzte. »Außerdem möchte ich deine Tochter heiraten.«
»Hm«, brummte Afram nachdenklich, »da wird es Schwierigkeiten geben. Du gehörst nicht zu unserem Volk. Das könnten wir aber ändern und dich adoptieren – oder so ähnlich.«
»Ich bin schon einmal adoptiert worden«, meinte Hael. »Ich bin Waise.«
»Nun ja, das werden wir schon einrichten. Außerdem bist du vollkommen verrückt. Auch nicht schlimm. Die Verrückten werden bei uns in Ehren gehalten.«
»Ja, das hat mir Deena schon gesagt.« Den Rest des Weges verbrachte Afram tief in Gedanken versunken. Bei ihrer Ankunft im Dorf war es bereits dunkel, aber Deenas Vater wollte nichts davon hören, das Fest auf den nächsten Tag zu verschieben. Breitblatt glich dem ersten Matwadorf Blauholz, wurde aber durch die Festvorbereitungen verändert. Fackeln und Laternen erleuchteten die Wege und hingen an den lang gestreckten Häusern. Der Klang von Flöten, Saiteninstrumenten und winzigen Handtrommeln erfüllte die Luft.
Deenas Mutter, deren Name Reveca war, übernahm sofort das Kommando. Heute Abend würde man sich nicht in einem der Häuser zusammendrängen. Alle Tische wurden ins Freie getragen, Weinkrüge herbeigeschleppt und geöffnet. Seit der Ankunft des Boten brannten riesige Lagerfeuer, über denen sich Bratspieße drehten. Der Geruch des röstenden Fleisches und die fröhliche Musik lagen über dem Dorf und kündeten von einem Freudenfest.
Afram, Reveca und der Rest der Gruppe, die alle die letzten zwanzig Stunden auf den Beinen gewesen waren, ließen sich sofort nieder, um die Nacht durchzufeiern, ohne auch nur einen Gedanken an eine Ruhepause zu verschwenden.
Hael fand die Tänze der Matwa recht ungewöhnlich, denn Männer und Frauen tanzten paarweise. Das hatte er noch nie erlebt. Es schien ein Teil der Werbung zu sein, obwohl er bemerkte, dass sich auch verheiratete Paare unter die Tanzenden mischten.
Als Held des Tages wurde viel Aufhebens um Hael gemacht, und Deenas Mutter sorgte höchstpersönlich dafür, dass sein Teller und sein Becher immer gefüllt blieben. Die Erinnerung an den späteren Teil der Nacht blieb verschwommen, und am nächsten Tag glaubte Hael, er habe versucht, den seltsamen Tanz mitzumachen und Gefallen daran gefunden. Als er erwachte, stand die Sonne bereits hoch am Himmel, und zu seinem Bedauern war das Fest immer noch in vollem Gange. Hael wurde übel, als Reveca ihm sofort einen gefüllten Teller reichte, und er lehnte ihn mit den Worten ab, er brenne darauf, sich im Bogenschießen zu üben.
Sofort ließ Afram Ziele aufbauen, die aus großen, mit Gras ausgestopften Häuten bestanden, auf die man farbige Zielpunkte gemalt hatte. Hael staunte über die Reichweite und Kraft der Bögen. Die Jäger auf Gale hatten kleine, schwache Bögen verwandt und sich darauf verlassen, dass die Beute durch das Pfeilgift starb. Während seines Aufenthaltes in Kasin hatte er die Bögen gesehen, die nevanische Schützen im Krieg einsetzten. Zwar waren sie sehr stabil, aber ebenfalls klein und besaßen keine große Reichweite. Die winzigen Bronzespitzen der Pfeile vermochten sich nur durch die dünnsten Rüstungen zu bohren. Die Langbögen der Matwa waren mannshoch, aus leichtem, aber hartem Holz geschnitzt, mit Horn und Sehnen verstärkt, in der Mitte fast armdick – und sie verjüngten sich den Spitzen zu.
Selbst die jüngsten Schützen vermochten ein Ziel auf zweihundert Schritt Entfernung zu treffen – mehr als das Doppelte von dem, was die nevanischen Soldaten erreichten. Nachdem Hael gute Ratschläge betreffs der Aufstellung, des Spannens der Sehne und des Zielens erhalten hatte, versuchte er sich mit dem Bogen, den Afram ihm reichte, an dem am nächsten gelegenen
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