Der Insulaner
große Armeen besaßen. Es fiel Hael schwer, sich die Größe der Streitkräfte vorzustellen, als Malk nicht nur von Hunderten, nein, von Tausenden, Zehntausenden und gar Hunderttausenden sprach. Diese Zahlen vermochte der Junge nicht auf Menschen anzuwenden, höchstens auf riesige Tierherden.
»Über unserer nördlichsten Weide ragte eine Bergspitze auf«, sagte Hael, »die wir als Knaben erklommen, um den Ausblick über die gesamte Hochebene zu genießen. Dort oben konnte man mehrere Tagesmärsche weit in alle Richtungen sehen, und wir erblickten einige tausend Kaggas und noch viel mehr wildlebende Tiere. Ich glaube, dass ich damals bestimmt an die hunderttausend Kreaturen auf einmal erspähte. Aber ich gebe zu, dass es mir schwer fällt, mir die gleiche Anzahl Menschen an einem Ort vorzustellen. Außerdem frage ich mich, wie eine derartige Menge ernährt wird, ohne dass die Natur darunter leidet. Und wer vermag so viele Leute zu beherrschen?«
Inzwischen war es dunkel geworden, und es herrschte beinahe völlige Stille. Das Schiff segelte ruhig übers Meer, und nur vereinzelte Blitze erhellten die Nacht.
»Den Anblick der Armeen vergisst man nicht so leicht«, bemerkte Malk versonnen. »Auch nicht den Geruch, nachdem sie lange Zeit unterwegs waren oder lange an einer Stelle lagerten. Was die Natur angeht: Nun, sie leidet sehr darunter. Aus diesem Grund rufen die Könige ein riesiges Heer nur dann zusammen, wenn eine große Schlacht bevorsteht, und sie lösen es sobald wie möglich wieder auf. Die Herrschaft wird durch eine so genannte Kommandokette geregelt. Oberster Befehlshaber ist der König oder sein Marschall. Dann kommen die Generäle, von denen jeder einen Teil der Armee unter sich hat. Den Generalen unterstehen Offiziere, die für eine Hundert- oder Tausendschaft verantwortlich sind. Das geht so weiter bis zu den Schwadronsführern, die acht oder zehn Männer befehligen. Entlang dieser Kommandokette werden Befehle mit äußerster Schnelligkeit weitergegeben, wenn alles gut durchdacht ist.«
Hael war völlig verblüfft und wandte sich an Kristofo. »Stimmt das wirklich?«
Kristofo nickte. »Theoretisch schon. Meistens läuft es auch nach Plan, so lange die Männer marschieren, bei Belagerungen oder Übungen und so weiter. Bricht aber eine Schlacht los, bleibt keine Zeit für solche Förmlichkeiten. Dann werden grundsätzliche Befehle per Trompete, Becken, Trommel oder Pfeife weitergegeben. Während der Schlacht ist der General damit beschäftigt, Truppenteile von einem Ort zum anderen zu schicken. Es ist unmöglich, jedem einzelnen Soldaten genaue Anweisungen zu erteilen.«
»Und so erobert man Königreiche?« fragte Hael.
»Manchmal«, antwortete Malk. »Ich glaube, die meisten Könige ziehen in den Krieg, um einen Gegner zu besiegen. Zum Schluss sind sie glücklich, wenn es ihnen gelingt, wenigstens ihren eigenen Besitz halten zu können. Oft kämpfen sie bloß um irgendeinen Vorteil, wie zum Beispiel ein Stück Land oder eine Handelsstraße. Dann geht etwas schief und ihre ganzen Pläne werden zunichte gemacht. Krankheiten und Hungersnöte haben schon oft einen Krieg beendet.«
»Benutzen sie auch Magie?«
Malk dachte lange nach. »Manche behaupten es. Kaum ein König zieht in den Krieg, ohne vorher große Feierlichkeiten abzuhalten, um die Gunst seines Gottes oder seiner Göttin zu gewinnen. Wenn er siegt, wird er hinterher sagen, der Gott persönlich habe die schützende Hand über ihn gehalten. Wenige geben den Göttern die Schuld an einer Niederlage, damit es nicht heißt, ein Vergehen oder eine Sünde sei begangen worden, oder man habe nicht richtig gebetet und geopfert. Gewöhnlich wird ein Sündenbock gefunden, dem man die Schuld zuschiebt und dann bestraft.
Aber hin und wieder werden Magier herbeigerufen, die dem Feind Schaden zufügen sollen, indem sie ihn verfluchen oder mit einem bösen Zauber belegen. Ich weiß nicht, ob das wirklich hilft oder ob es sich bloß um Aberglauben handelt.«
»Ich habe die Auswirkungen dieser Zauber bereits erlebt«, meinte Kristofo. »Einst, als ich in der Armee Nevas diente, marschierten wir in die Zone. Das ist ein eigenartiges Gebiet. Dort gibt es Tiere, die sonst nirgendwo zu finden sind, und die meisten Menschen sind genauso seltsam. In der Wüste findet man Dörfer, die wie kleine, in sich geschlossene Welten sind, und die Bewohner behaupten von sich, sie würden über ungewöhnliche Kräfte verfügen. Das habe ich wirklich selbst erlebt.«
»Was
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