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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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vermochte. Der Speer und das Kurzschwert eigneten sich hervorragend zum Zustoßen, die Axt zum Schlagen, doch beim Schneiden konnte sich keine Waffe mit dem Langschwert messen. Hael war verblüfft, denn – wie die meisten Menschen – hatte er nicht gewusst, dass bei Waffen zwischen Schlagen und Schneiden ein so großer Unterschied bestand. Kristofo zeigte es ihm. Mit einer Axt schlug er auf einen Strohsack ein und wies Hael darauf hin, wie der schwere Kopf der Waffe in das ›Opfer‹ eindrang. Anschließend führte er vor, wie man beim Schwingen des Langschwerts eine grauenvolle Wunde zufügen konnte, wenn man die Schneide durchzog. Der große Vorteil gegenüber der Axt war das geringere Gewicht des Schwertes, so dass ein Hieb mit größerer Leichtigkeit ausgeführt werden konnte.
    Immer wieder ließ Kristofo den Jungen den Hieb mit dem Schwert üben – vielleicht hundert- oder gar tausendmal. Hael musste die Waffe bis hinter die Schulter bringen und dann waagerecht oder senkrecht nach vorn schlagen. Eine Drehung des Handgelenks verlieh der Waffe zusätzliche Geschwindigkeit. Sie übten mit den auf See gebräuchlichen kleinen runden Schilden, deren Handhabung sich deutlich von den langen Shasinnschilden unterschied.
    Während der Reise zum Festland legten sie an mehreren kleinen Inseln an, wo sie Waren ein- und ausluden. Sobald sie eine Insel aus den Augen verloren, wurde auch schon die nächste am Horizont sichtbar. Dennoch verblüfften Hael die Entfernungen, die die Wellenfresser zurücklegte. Noch erstaunlicher fand er Malks Bemerkung, es handele sich bei dieser Inselgruppe nur um den winzigsten Teil der Welt, deren Ausmaße sich der Junge nicht vorzustellen vermochte. Die übrigen Seeleute bestätigten die Richtigkeit der Aussage, und er hatte keinen Grund, an ihren Worten zu zweifeln.
    Die Menschen in den Hafenstädten der Inseln unterschieden sich kaum voneinander, und mehrmals erblickte er Shasinn, die den Angehörigen seines Stammes ähnelten; nur sprachen sie einen seltsamen Dialekt. Hael verspürte kein Bedürfnis, sich mit ihnen zu unterhalten, obwohl sie natürlich nicht wussten, dass er ein Ausgestoßener war.
    Von Zeit zu Zeit begegneten sie Schiffen, die ganz anders als die Wellenfresser aussahen. Aus dem Süden stammten lange Boote mit Zwillingsrümpfen. Einmal erspähten sie am frühen Abend in weiter Ferne ein riesiges Kriegsschiff. Malk entnahm einer wasserdichten Kiste ein längliches, hölzernes Rohr, an dessen beiden Enden einen Bronzering saß, und setzte es ans Auge.
    »Wollen wir doch mal sehen, unter welcher Flagge sie segelt«, sagte er. Dann senkte er das Rohr und schüttelte verwundert den Kopf. »Sie kommt aus Chiwa und fährt für diese Jahreszeit viel zu weit im Norden.«
    »Was ist das für ein Ding?« fragte Hael. Malk reichte ihm das Rohr, das aus zwei Hälften bestand, die man ineinander schieben konnte. An jedem Ende befand sich eine Glaslinse ähnlich der Brillengläser, die Hael einmal gesehen hatte. Malk erklärte dem Jungen, wie man das Rohr einstellen musste, und plötzlich erblickte er das chiwanische Kriegsschiff als flaches Bild vor seinem Auge. Es war bedeutend größer als die Wellenfresser und hatte zwei Masten. Auf dem Deck standen eigenartige Geräte herum, wie Hael sie nie zuvor gesehen hatte.
    »Während einer Schlacht wird sie durch Ruder gesteuert«, erklärte Malk. »Die Maschinen an Deck dienen zum Schleudern von Geschossen. Wahrscheinlich segelt sie auf irgendeiner diplomatischen Mission und bringt einen Prinzen oder Botschafter von Chiwa nach Orekah oder umgekehrt.«
    Damit konnte Hael nichts anfangen, und Malk erzählte ihm, dass einige Königreiche einander Botschafter senden, die ihre Herrscher an fremden Höfen vertreten. Er fügte hinzu, dass gegenseitige Einschüchterung keine unwichtige Rolle bei diesen politischen Missionen spielte und es durchaus an der Tagesordnung sei, einen Abgesandten im neuesten und schlagkräftigsten Kriegsschiff des Landes auf die Reise zu schicken.
    »Unter den Herrschern gibt es ein uraltes Sprichwort«, erklärte der Kapitän. »In allen Sprachen, manchmal in etwas unterschiedlichen Worten, bedeutet es jedoch immer: Wenn du mit anderen Völkern verhandelst, ist es angebracht, mit sanfter Stimme zu reden, aber ebenso, eine furchteinflößende Waffe im Hintergrund zu haben, wo ein jeder sie sehen kann.«
    Hael wollte wissen, ob die Länder nur auf dem Meer miteinander wetteiferten, und Malk teilte ihm mit, dass sie auch

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