Der Ire
ein fast südländisches
Gesicht mit makellosem Teint, schwarzen Augenbrauen und Wimpern,
dunklen Augen und blitzend weißen Zähnen hinter vollen roten
Lippen. Solche Gesichter waren an der Westküste von Irland nicht
selten, besonders in der Umgebung von Galway, wo sich im Lauf der
Jahrhunderte viel spanisches Blut mit irischem vermischt hatte.
»Woher haben Sie das gewußt?« fragte er.
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich kenne die Nummer Ihres Wagens, und Colum hat mir ein Bild
von Ihnen gezeigt. Sie haben sich verändert.«
»Tun wir das nicht alle?« meinte Rogan. »Was haben Sie mit der ganzen Sache zu tun?«
»Das erfahren Sie noch. Wenn Sie mich ans Steuer lassen, können wir losfahren.«
Rogan rutschte auf der Sitzbank zur
Seite und ließ die junge Unbekannte ans Steuer. Eine Sekunde lang
sah er nur noch die Frau in ihr; er roch einen Hauch von Parfüm
und sah den hochgerutschten Mantel. Sie zog ihn zurecht und ließ
den Motor an.
»Ich möchte mir irgendwo Zigaretten kaufen«, sagte Rogan.
Sie holte eine Packung aus der Manteltasche. »Nicht nötig. Ich habe genug.«
»Müssen wir weit fahren?«
»Ungefähr vierzig Meilen.«
Sie fuhr ausgezeichnet und kam in den engen Gassen erstaunlich rasch voran. Rogan lehnte sich zurück und
beobachtete sie unauffällig.
Eine hübsche junge Frau, die
eine große Enttäuschung erlebt hat, entschied er. Das sieht
man in ihren graugrünen Augen. Sie ist ungebrochen, aber sie hat
sich bestimmt vorgenommen, nie wieder jemand zu lieben. Und das ist
schade, das ist die eigentliche Tragödie.
»Erkennen Sie mich nächstesmal wieder?« fragte sie in seine Gedanken hinein.
»Wäre das schlimm?« Rogan grinste. »Eine Irin aus Liverpool?«
»Merkt man das?«
»Der Akzent ist unverkennbar.«
Sie lächelte unwillkürlich. »Sie sprechen selbst nicht wie ein englischer Gentleman.«
»Und warum sollte ich das tun wollen?«
»Sie waren doch Major in der englischen Armee ...«
»Hm, Sie scheinen mich gut zu kennen.«
»Kein Wunder! Ich habe mir
lange genug von dem großen Sean Rogan erzählen lassen
müssen.«
Sie fuhren jetzt durch die
Außenbezirke der Stadt. Dann hielt sie an einem schmiedeeisernen
Tor, das in eine niedrige Mauer eingelassen war und zu einer im
Hintergrund sichtbaren Kirche führte.
»Darf ich?« fragte sie Rogan. »Ich habe nicht oft Gelegenheit dazu.«
»Bitte.«
Rogan sah ihr nach, als sie durch das
Tor ging: eine kleine, wohlproportionierte Gestalt mit nach englischen
Begriffen etwas zu breiten Hüften. Sie ging also noch zur Kirche.
Das war interessant, denn es bewies, daß sie kein aktives
Mitglied der I.R. A. war, als das sie automatisch exkommuniziert worden
wäre.
Er gab einem Impuls nach,
öffnete die Tür und folgte der jungen Frau in die Kirche. Er
blieb am Eingang stehen, sah sie in der ersten Reihe knien und setzte
sich selbst in die letzte. In der Kirche war es halb dunkel und sehr
still.
Rogan beobachtete die junge Frau, wie
sie aufstand und durch den Mittelgang zum Portal zurückkam. Dann
sah sie ihn dort im Halbdunkel sitzen und blieb abrupt stehen.
»Das war unklug von Ihnen. Sie hätten gesehen werden können.«
Er zuckte mit den Schultern, stand
auf und ging neben ihr her zum Ausgang. »Wer so denkt, benimmt
sich auch verdächtig; wer sich verdächtig benimmt, wird
erwischt. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.«
Sie standen unter dem Portal.
Draußen hatte es zu nieseln angefangen. Die junge Frau warf Rogan
einen prüfenden Blick zu und lächelte dann plötzlich.
»Hannah Costello, Mr. Rogan«, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen.
Er schüttelte sie grinsend.
»Ich heiße Sean, Hannah, aber das weißt du bereits.
Darf ich jetzt fragen, wohin du mich bringst?«
»Zu einem Haus auf dem anderen
Ufer der Seen. Es liegt an der Küste in der Nähe von
Whitbeck.«
»Ist Colum O'More dort?
»Er wartet auf dich.«
»Komm, dann fahren wir gleich
weiter. In Kerry liegt eine Farm, die mein Vater bald nicht mehr allein
bewirtschaften kann. Es wird Zeit, daß ich nach Hause
komme.«
Das Lächeln von Hannahs Gesicht
verschwand. Sie sah fragend zu Rogan auf, schien etwas sagen zu wollen
und schwieg dann doch. Sie ging zum Auto voran.
Dick Vanbrugh war müde, verdammt
müde, und der Regen, der gegen das Fenster im Bad klatschte, hob
seine Stimmung nicht gerade.
Weitere Kostenlose Bücher