Der italienische Geliebte (German Edition)
wirst du weg sein?«
»Das weiß ich nicht.« Er runzelte die Stirn. »Es hängt davon ab, wo ich stationiert werde. Mussolini hat abgewartet, bis er sicher sein konnte, dass Frankreich fallen würde. Er ist überzeugt, dass Großbritannien allein nicht durchhalten kann, sondern schon in einigen Woche – höchstens ein oder zwei Monaten – den Deutschen Verhandlungen anbieten wird.«
Tessa dachte an die Männer, die sie in England gekannt hatte – Ray, Julian, Max, Paddy. Würden sie verhandeln wollen? Sie konnte es sich nicht vorstellen.
Sie reichte ihm ein Glas und setzte sich. »Und was glaubst du, Guido?«
»Ich halte es für möglich, dass die Amerikaner in den Krieg eintreten. Im Moment halten sie sich zurück, aber das wird vielleicht nicht so bleiben.« Er setzte sich neben sie und trommelte mit den Fingerspitzen auf die Armlehne des Sofas. »Ich hatte gestern Abend eine Auseinandersetzung mit meinem Schwiegervater. Er war von Anfang an ein treuer Anhänger Mussolinis. Er erinnerte mich daran, dass in Amerika sehr viele Italiener leben, und fragte, ob ich ernstlich glaubte, dass sie gegen ihre eigenen Landsleute in den Krieg ziehen würden. Ich hielt ihm entgegen, dass Amerika wohl kaum Geschäfte mit einem faschistischen Europa machen möchte.«
»Und welcher von euch hat den anderen überzeugt?«
»Keiner. Ich habe Maddalena angesehen, dass sie irritiert war. Sie hasst es, wenn ich mit ihrem Vater streite. Also habe ich das Thema gewechselt.« Er sah sie ernst an. »Du musst raus aus Florenz, Tessa. Früher oder später wird jemand Fragen stellen. Ich habe deswegen an meine Mutter geschrieben.«
»Ich verstehe nicht.«
»Ich habe dir erzählt, dass meine Mutter und meine Schwester in unserer Villa im Chianti leben. Seit dem Tod meines Vaters kümmert sich meine Mutter um unsere Pachthöfe und bemüht sich, sie auf den neuesten Stand zu bringen. Sie hält die contadini dazu an, nach modernen landwirtschaftlichen Methoden zu arbeiten, und sie hat eine Schule und eine Klinik für ihre Familien eingerichtet. Meine Mutter ist dort allgemein beliebt und respektiert, und keinem wird es auffallen, wenn eine zusätzliche Person in der Villa einzieht. Faustina hat –«
Sie unterbrach ihn. »Willst du mir sagen, dass ich zu deiner Mutter ziehen soll, Guido?«
»Ja. Du bist dort sicherer.« Er nahm einen Brief aus der Innentasche seines Jacketts. »Faustina hat mir geschrieben. Das ist ihre Antwort – sie ist heute Morgen gekommen. Lies bitte.«
Sie nahm den Brief nicht. »Guido, ich weiß, du meinst es gut, aber ich kann unmöglich zu deiner Mutter ins Haus ziehen.«
»Warum nicht?«
»Es geht einfach nicht, das musst du doch einsehen.«
»Damit bringst nicht nur dich selbst, sondern auch mich in Gefahr.«
»Nein«, widersprach sie scharf. »Das stimmt nicht. Was ich tue, entscheide ich. Du hast damit nichts zu tun.«
»Du lebst aber nicht auf einer einsamen Insel, Tessa. Glaubst du, ich hätte Maddalena von dir erzählt? Glaubst du, ich hätte ihr erzählt, dass die erste Frau, die ich wirklich geliebt habe, jetzt wieder in Florenz ist? Nein, natürlich nicht. Wenn du hierbleibst, werde ich mich verpflichtet fühlen, dich zu besuchen. Ich werde mich verpflichtet fühlen, dafür zu sorgen, dass du sicher bist und dir nichts geschieht. Und wenn du in Schwierigkeiten geraten solltest, glaube ich nicht, dass ich es schaffen werde, mich einfach herauszuhalten.«
»Das ist nicht fair«, rief sie.
»Wir haben uns einmal geliebt. Das kann ich nicht vergessen.«
Sie sagte zornig: »Ich kann auf mich selbst achten. Das habe ich immer schon getan.«
»Wirklich, Tessa?«
Instinktiv hob sie die Hand an ihre Stirn. Dann stand sie schnell auf und ging von ihm weg zum Fenster. Unten rumpelte ein Eselskarren mit einer Ladung leerer Flaschen vorbei. In einer Tornische küsste sich ein Pärchen.
Sie hörte das Zufallen der Tür, als Guido ging. In einem Spinnennetz in einer Ecke des Fensterrahmens kämpfte ein Schmetterling mit zitternden Flügeln um seine Freiheit. Vorsichtig löste sie ihn von den klebrigen Fäden und öffnete das Fenster, um ihn fliegen zu lassen. Sein Flug war taumelnd und unsicher, und sie fragte sich, ob sie ihm bei der Befreiung die Flügel verletzt hatte.
Vor einem Jahr hatte sie Freddie erklärt, dass ihrer Meinung nach im Fall eines Krieges London nicht sicherer sein würde als Florenz. Sie hatte ihr auch
Weitere Kostenlose Bücher