Der italienische Geliebte (German Edition)
und im Augenblick brauchen sie jeden Mann, den sie haben, in Russland.« Er schwieg einen Moment, dann sagte er: »Immer kündigt ein kalter Wind einen Wetterumschwung an. Ich spüre, wie es umschlägt. Die Briten wissen, dass die Amerikaner im Hintergrund warten. Das ist ein Riesenarsenal an Menschen, Flugzeugen, Panzern und Geschützen. Wenn die Alliierten Nordafrika erobern, was wird dann wohl passieren?«
Tessa stellte sich die Karte des Mittelmeers vor, die Inselkette zwischen der nordafrikanischen Küste und der Stiefelspitze Italiens.
»Du glaubst, sie werden hierherkommen?«
»Ja.«
»Und Maddalena?«
»Sie war politisch nie besonders interessiert. Ich war auch nicht anders, als ich noch jünger war. Jetzt empfinde ich es als Heuchelei zu behaupten, man habe an Politik kein Interesse.« Er lächelte ironisch. »Ich habe mich mit meiner Frau wegen eines Krieges zerstritten, an den ich nie geglaubt habe. Kein Wunder, dass sie wütend auf mich ist. Aber verstehst du, meine Männer sind noch da draußen in der Wüste. Sie nehmen Strapazen auf sich, die mein Schwiegervater und Leute seines Schlags sich nicht einmal vorstellen können. Und ich schulde es ihnen zurückzukommen.« Er schnippte Asche auf das Pflaster. »Vor Maddalenas Abfahrt haben wir uns noch einmal gestritten. Sie sagte zu mir –« Mit einem Kopfschütteln brach er ab.
»Was, Guido?«
Er hob ein Blatt auf, das der Wind auf die Pflastersteine geweht hatte, und zerdrückte es in seiner Hand. »Sie sagte, wenn ich schon nicht ihr zuliebe in Italien bleiben wolle, könnte ich es dann nicht wenigstens für Luciella tun.«
»Ach Gott.«
»Ich versuchte, ihr zu erklären, dass ich das, was ich tue, gerade für sie und Luciella tue. Was wäre ich denn für ein Vater – was für ein Ehemann –, wenn ich allem, woran ich glaube, den Rücken kehrte? Treue, Vertrauen – wenn ich das verriete?« Er wartete, dass Tessa etwas sagen würde; als sie schwieg, fügte er bitter hinzu: »Du bist eine Frau. Wahrscheinlich bist du auf Maddalenas Seite.«
»Ja, das stimmt. Aber ich bin auch auf deiner Seite, Guido.« Sie zog die Brauen zusammen. »Ich dachte immer, ich lebte nach meinen eigenen Grundsätzen. Ich war ziemlich stolz auf sie. Meine Regeln waren nicht die anderer Leute, aber das spielte für mich keine Rolle.«
»Und heute?«
»Meine Grundsätze hätten mich beinahe vernichtet. Ich weiß nicht, ob ich mir aus solchen Regeln noch viel mache.«
»Aber du hast dich doch gar nicht so sehr verändert, Tessa. Sicher, du bist ruhiger – auch trauriger. Aber eigentlich bist du fast unverändert.«
Sie drückte ihre Zigarette in einem Blumentopf aus. »Vielleicht hätte ich nach England zurückgehen sollen.«
»Vielleicht gehörst du hierher.«
»Vielleicht.« Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß jetzt besser, was Treue ist. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, aber jetzt ist es mir klar. Ich war der festen Meinung, wenn es in einer Liebesbeziehung nicht mehr stimmt, sollte man sie einfach hinter sich lassen und sich neuen Dingen zuwenden. Keinesfalls sollte man sich binden. Das hat meine Kindheit mich gelehrt, und danach habe ich gelebt. Ich glaubte, ich wäre mir selbst treu, ich wäre meinen Grundsätzen treu.«
»Und dann?« Als sie nicht antwortete, fügte er hinzu: »Es gibt doch ein ›und dann‹?«
»Irgendwann bin ich einem Mann begegnet, dem ich nicht einfach den Rücken kehren konnte.« Sie zog die Knie an und schlang die Arme um ihre Beine. »Er war intelligent, gut aussehend und hatte eine Menge Charme. Und er war verheiratet. Ich kannte viele Männer, die intelligent, gut aussehend und charmant waren, und viele von ihnen waren verheiratet. Ich redete mir immer ein, das wäre kein Problem, ich wollte sie ja ihren Ehefrauen nicht wegnehmen. Was wir uns doch alles vormachen, wenn wir uns verlieben. Vielleicht waren nur der Mond und die winterliche Stimmung schuld. Manchmal hatten diese stillen englischen Landschaften einen Zauber.«
»Was ist passiert?«
»Nichts Gutes«, sagte sie traurig.
Ein zuckender Blitz erleuchtete den Hof mit lavendelblauem Licht. »Hoffentlich schüttet es richtig«, sagte Guido mit einem Blick nach oben. »Wir könnten einen kräftigen Guss gebrauchen.«
»Aber keinen Hagel. Stefano hat Angst um seine Trauben.«
»Du bist ja eine richtige Landfrau geworden, Tessa. Das hätte ich mir wirklich nie träumen lassen.« Milder
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