Der italienische Geliebte (German Edition)
ist.« Ihr Ton war kühl und distanziert, beinahe herausfordernd, und sie sah den Schock in seinem Blick. »Du weißt nichts von mir, Guido. Ich habe es dir gesagt – ich habe mich verändert. Alles, was du von mir vermutet hast, war falsch. Deine Erinnerungen bedeuten nichts mehr, gar nichts.«
Sie stand auf und trat unter die schützenden Arkaden der Loggia. Dann blickte sie zu ihm zurück. »Aber eines weiß ich«, sagte sie heftig. »Du musst auf dein Kind aufpassen. Behüte deine Luciella, Guido. Lass nicht zu, dass ihr etwas Schlimmes passiert. Alles andere ist unwichtig. Vollkommen unwichtig.«
Als die Pollens bei Kriegsausbruch vom Mayfield-Hof nach Cornwall umgezogen waren, hatten sie den Brennofen zurückgelassen, den John Pollen gebaut hatte, außerdem Reste des bunten Glases, mit dem Romaine gearbeitet hatte. Das Glas war in Scherben und Bruchstücken, nach Farben in alte Oxo-Brühwürfeldosen sortiert. Das durchscheinende Material mit seiner natürlichen Leuchtkraft lockte Rebecca, und manchmal ging sie in den Raum mit dem Brennofen, nahm aus einer der Dosen eine Scherbe und hielt sie ans Fenster, um das Licht hindurchströmen zu lassen.
Eines Tages versuchte sie, verschiedene Bruchstücke zu einem Bild zusammenzufügen. Sie setzte sich an die Werkbank, auf der John Pollen seine Gefäße geformt hatte, und schob die einzelnen Teile vorsichtig, um sich nicht in die Finger zu schneiden, auf der Platte hin und her. Am Abend suchte sie in der Werkstatt nach dem Blei, mit dem Romaine Pollen die Glasteile miteinander verbunden hatte. Sie fand nur noch wenige Reste – entweder hatte Romaine vor der Abreise ihren Vorrat auslaufen lassen oder sie hatte das Blei, das zweifellos teuer war, mitgenommen. Rebecca kam der Gedanke, dass sie ihr Glasbild vielleicht auch ohne Blei in John Pollens Brennofen herstellen könnte, und eines Abends heizte sie den Ofen. Am nächsten Tag, als das Glas abgekühlt war, nahm sie es heraus: Die einzelnen Teile waren miteinander verschmolzen, die Farben ineinandergelaufen.
Es war ein harter Herbst. Der Mayfield-Hof stand ungeschützt von Regen und Wind auf seinem Hügelrücken. Vom Ärmelkanal fegten Regenstürme das Weald herauf und verwandelten den Lehmboden in klebrigen Morast. Trotzdem mussten die Felder gepflügt und das Saatgut gesät werden. Bei besonders schlimmem Wetter packte sich Rebecca in mehrere Pullover, dicken Schal, Handschuhe, Mütze und dicken Mantel ein und stapfte mit zwei Paar Socken und alten Wanderstiefeln an den Füßen aufs Feld. Mit David Mickleboroughs Flinte lernte sie, die Krähen zu schießen, die es auf die Samen abgesehen hatten, und erlegte Kaninchen für den Braten. Den Sieg der Alliierten bei El Alamein in Nordafrika Anfang November feierte sie zusammen mit den Mickleboroughs und den Landhelferinnen mit selbst gemachtem Apfelmost.
Den ganzen Winter hindurch experimentierte sie mit dem Glas. Manchmal verbanden sich die einzelnen Teile auch unter größter Hitze nicht, während sie zu anderen Zeiten zwar verschmolzen, aber beim Abkühlen sprangen. Wenn sie nach einem Brennvorgang den Ofen öffnete, nahm sie das Stück, das sie gefertigt hatte, immer mit höchster Spannung heraus. Glas war, wie sie entdeckte, ein Material, das auch einmal Fehler verzieh. Misslungene Stücke konnten neu eingeschmolzen und das Material wieder verwendet werden. Selbst ein nicht wiedergutzumachender Fehler konnte neue Überlegungen anstoßen, den Weg in eine andere Richtung weisen.
Die Wochenenden verbrachte sie abwechselnd mit Meriel bei ihrer Mutter in Abingdon. Das Haus erschien ihr immer zugig und ungemütlich. Dort spürte sie die Kälte, auf dem Hof fast nie. Über Jahrhunderte hatten die soliden Mauern von Mayfield sie abgehalten; Hatherden erschien ihr im Vergleich billig zusammengeschustert, sein Inventar, einzig mit Blick auf Haltbarkeit und Preisgünstigkeit gekauft, schäbig und abgenutzt. Das, erinnerte sie sich, hatte zu den Dingen gehört, die ihr bei Milo sofort gefallen hatten: Für ihn war es selbstverständlich gewesen, dass einem das eigene Aussehen und die eigene Umgebung wichtig waren. Für sie war es eine Offenbarung gewesen, die Tür zu einer anderen Welt, in der Genuss nicht immer mit schlechtem Gewissen einherging.
Doch in diesem grimmigen Winter des vierten Kriegsjahres wurden die alten Gewohnheiten aus der Kindheit, das Knausern und das Zurückstecken, lebenswichtig. Es fiel ihr leicht, sie wieder aufzunehmen, ihr
Weitere Kostenlose Bücher