Der italienische Geliebte (German Edition)
Meriel, das ist ja furchtbar.«
»Deborah und ihre Cousine sollen sofort tot gewesen sein. Ich weiß, dass Deborah sich immer geweigert hat, in den Luftschutzkeller zu gehen, das hat Dr. Hughes mir erzählt, und ich vermute, ihre Cousine wollte sie nicht allein lassen.«
Rebecca setzte das Teewasser auf.
»Der arme Dr. Hughes.«
»Er tut mir entsetzlich leid. Sie waren zwanzig Jahre verheiratet.« Meriel begann, die Gläser abzutrocknen und in den Schrank zu stellen. »Ich weiß, man soll über die Toten nichts Schlechtes sagen, aber Deborah konnte sehr schwierig sein.«
»War sie nicht immer kränklich?«
Meriel nickte. »Deswegen ist sie nach Worthing gefahren. Wegen der Seeluft.«
»Hast du schon mit Dr. Hughes gesprochen?«
»Ich habe ihn gestern Abend angerufen, aber er erwartete einen Anruf von Deborahs Mutter, da hatte ich nur Zeit, ihm zu kondolieren.«
»Was machte er dir für einen Eindruck?«
»Er war fassungslos, der Arme. Was meinst du –«, Meriel rauchte mit großer Konzentration, »soll ich ihm anbieten, ihm beim Durchsehen ihrer Sachen zu helfen? Es ist ja scheußlich, wenn ein Mann so etwas allein machen muss, und Deborah hatte keine Geschwister, und ihre Mutter ist sehr alt und gebrechlich. Ich möchte mich natürlich auf keinen Fall aufdrängen, und vielleicht bietet sich auch jemand anders an, aber…«
»Ich finde, es wäre sehr nett von dir«, sagte Rebecca mit Entschiedenheit.
»Ich kannte Deborah ja nur flüchtig, und ich muss zugeben, dass sie mir nicht sympathisch war, trotzdem – was für ein schreckliches Schicksal. Da fährt sie ein paar Tage weg, um sich zu erholen, und dann… Ich wollte vor Mama nichts sagen, weil ich Angst hatte, ich würde die Fassung verlieren. Ganz ehrlich, es nimmt mich ziemlich mit, weil es ihn so mitnimmt. Deborah war so schwierig und anspruchsvoll, da fällt es mir schwer, etwas zu empfinden, aber ich empfinde mit ihm.« Meriel sah ihre Schwester an. »Findest du das schlimm von mir?«
»Überhaupt nicht.« Rebecca tätschelte Meriel tröstend die Schulter.
»Ich finde es absolut verständlich.«
Zwischen Rugby und Coventry hielt der Zug mit quietschenden Bremsen an. Freddie saß in einem Abteil mit einem schlafenden Soldaten und einem Mann mit Hahnentrittjackett und Filzhut. Als sie am Bahnhof Euston eingestiegen war, hatte sie dieses Abteil gewählt, weil noch zwei Frauen mittleren Alters darin saßen. In Westdown hatte Miss Fainlight ihren Schülerinnen eingebläut, bei Zugfahrten stets die Gesellschaft anderer Frauen zu suchen, und Freddie hielt sich heute noch an diesen Rat. Aber die beiden Frauen waren in Rugby ausgestiegen, und jetzt hielt ihr der Mann im Hahnentritt eine zerknitterte Papiertüte hin und sagte: »Was Süßes, Miss?«
»Nein, danke«, entgegnete sie.
»Ihr jungen Damen denkt doch immer nur an die Figur.« Sie wusste, was als Nächstes kommen würde, und es kam. »Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, wenn ich so frei sein darf, das zu sagen.«
Wahrscheinlich hätte sie jetzt albern lächeln und danke sagen müssen, dachte sie. Stattdessen sah sie zum Fenster hinaus, wo ein brauner, vom Regen angeschwollener Fluss sich zwischen Feldern und Schilf hindurchwand. Sie hoffte inständig, der Zug würde endlich weiterfahren.
»Darf ich fragen, wohin die Reise geht, Miss?«
»Birmingham«, sagte sie.
»Na so was, da will ich auch hin. Sie hören sich nicht an, als kämen Sie aus der Gegend, wenn ich das sagen darf. Zigarettchen?« Eine Zigarettenpackung wurde ihr angeboten, eine Hand streifte wie zufällig ihr Knie.
Ihr Buch war in ihrer Reisetasche im Gepäcknetz. Sie überlegte, ob sie es herunterholen und sich dahinter verstecken sollte, hatte aber wenig Lust sich hochzurecken: Wahrscheinlich würde er versuchen, ihr unter den Rock zu schauen.
»Nein, danke«, sagte sie.
»Gehen Sie gern ins Kino?«
»Manchmal. Mit meinem Freund.«
»Ich wette, eine junge Dame wie Sie hat jede Menge Freunde.«
»Genug«, sagte sie kalt.
Der Zug erzitterte, fuhr mit einem Ruck an und kroch vorwärts, um nach wenigen Metern erneut anzuhalten. »Entschuldigen Sie«, sagte Freddie und verließ das Abteil.
Sie ging durch den Korridor von einem Wagen zum nächsten. Wenn sie sich Zeit ließ, würde der Hahnentritt-Mann vielleicht einschlafen, so wie der Soldat. Sie war müde und hätte selbst nichts gegen ein Nickerchen gehabt. Mit einem
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