Der italienische Geliebte (German Edition)
Meine Mutter lebte sechs Jahre länger. Sie hat den Erfolg von Penelopes Webstuhl noch erlebt. Sie hat sich unheimlich für mich gefreut.«
»Und war sicher sehr stolz auf dich.«
»Ja, das auch.«
»Sie fehlt dir bestimmt.
Nein, sie fehlte ihm nicht sonderlich. Ihre ehrfürchtige Bewunderung seiner Leistungen – Schulstipendium, Oxford, Buchveröffentlichung – war ihm damals, als sehr junger Mensch, auf die Nerven gegangen und peinlich gewesen. Dennoch sagte er jetzt: »Ja, natürlich«, und fügte dann sinnend hinzu: »Was wir mit achtzehn oder zweiundzwanzig wollen ist nicht unbedingt dasselbe wie das, was wir mit achtunddreißig wollen. Wir treffen diese Entscheidungen in der Jugend und erkennen nicht, wie bedeutsam sie sind.«
Jäh überkam ihn ein Gefühl von Trauer. In letzter Zeit war es ihm nicht gelungen, eine Unzufriedenheit abzuschütteln, die wie ein Schwarm schwarzer giftiger Fliegen über ihm hing.
»Ich habe Fallen immer vermieden«, sagte Tessa. »Verpflichtungen, Verantwortung – das will ich alles nicht. Meine Mutter saß in der Falle. Sie war in ihrer Ehe gefangen.«
»Findest du denn, dass die Ehe immer eine Falle ist?«
»Für Frauen ganz sicher. Für Frauen kann die Ehe eine Art Sklaventum sein. Für Männer – das kann ich nicht beurteilen.«
Er sagte: »Ich habe die Ehe als Abenteuer gesehen.«
»Und ist sie es?«
»Ja, am Anfang war sie eines. Wir glaubten, wir würden ganz neue Wege einschlagen, Rebecca und ich. Wir wollten es besser machen als unsere Eltern. Wir wollten Hand in Hand zu einer spannenden Reise aufbrechen.«
»Habt ihr Kinder?«
»Wir wollten keine. Sie hätten uns eingeschränkt. Ich fand immer, dass Kinder und nicht die Ehe einen behindern.«
»Für eine Frau sind sie eine zusätzliche Fessel. Sie wird der Kinder wegen in einer schlechten Ehe aushalten. Mit der Ehe ist ein Besitzdenken verbunden, das ich einfach nicht mag. Ich habe zu viele unglückliche Ehen gesehen – nicht nur die meiner Eltern, auch hier in London. Ich kenne Paare, die nur des Geldes wegen oder um den Schein zu wahren zusammenbleiben, weil eine Scheidung eine Schande wäre. Das hat mit Liebe nichts zu tun, Milo, das ist nichts weiter als ein Vertrag, und ein schlechter dazu. Meiner Meinung nach ist die Ehe der Tod der Liebe.«
Blieb er aus Liebe oder aus Gewohnheit bei Rebecca? Sie war in letzter Zeit so rastlos. Alles musste immer perfekt sein. Das Haus, der Garten – vielleicht, sagte er sich manchmal, würde sie auch ihn eines Tages ansehen, ein bisschen verlottert finden und mit ihm aufräumen. Wann war dieser Wandel eingetreten? Wann war aus dem hingebungsvollen jungen Mädchen mit der unwiderstehlichen erotischen Ausstrahlung, in das er sich verliebt hatte, eine Frau geworden, die sich über einen Krümel auf dem Sofakissen, einen schmutzigen Fußabdruck im Flur aufregte? Nach Penelopes Webstuhl , dachte er, aber schon vor Annette. Irgendwann in den Jahren dazwischen, den Jahren seines Erfolgs als Schriftsteller und ihres gemeinsamen gesellschaftlichen Erfolgs als Ehepaar.
»Entschuldige, Milo.« Tessa sah ihn teilnahmsvoll an. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. »Ich wollte dich nicht unglücklich machen.«
»Ich bin nicht unglücklich. Ich glaube, ich war nie glücklicher.«
Sie schaute zum Fenster hinaus. »Es hat aufgehört zu regnen. Wollen wir gehen?«
Draußen wollte Milo ein Taxi anhalten, aber Tessa sagte, sie wolle lieber zu Fuß laufen.
»Wie ist es mit der Liebe?«, fragte er, als sie wieder in der Charing Cross Road waren. »Ist die Liebe auch eine Falle?«
»O nein.« Sie hakte sich bei ihm ein. »Liebe ist das Wichtigste auf der Welt. Aber man sollte nicht versuchen, sie in eine Form zu pressen. Wenn man das tut, verzerrt und zerstört man sie. Die Liebe dauert, so lange sie eben dauert. Das ist jedenfalls meine Meinung. Und wenn sie aufhört, lässt man sie hinter sich.«
Hatte er versucht, an der Liebe festzuhalten, nachdem das Beste an ihr längst gestorben war? War das der Grund für seine Unzufriedenheit?
Die Straßen waren fast menschenleer, und nur gelegentlich fuhr ein Auto vorbei. Milo schien, dass die große Stadt sich nur für sie geleert hatte, damit sie ungestört gehen, reden und sich küssen konnten.
»Ich würde nie jemandem wehtun wollen«, sagte Tessa.
»Nein, natürlich nicht.«
»Du musst tun, was du für richtig hältst. Und ich mache es
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