Der italienische Geliebte (German Edition)
kritischer Blick in den Spiegel – die grüne Seidenbluse stand ihr, das wusste sie –, und sie machte sich auf den Weg.
Sie nahm ein Taxi zu Tobys Wohnung in Chelsea. Die oberen Stockwerke des Hauses waren erleuchtet. Als sich auf ihr Klopfen nichts rührte, schubste sie die Haustür vorsichtig an und trat ein, als sie aufschwang. Toby wohnte auf Nummer neun. Mit jeder Stufe, die Rebecca höher stieg, wurde es lauter – Musik, Gelächter, Stimmengesumm. Sie musste immer wieder um Leute herumgehen, die es sich auf den Stufen bequem gemacht hatten.
Die Zahl neun war auf ein flaches Knochenstück aufgemalt – ein Kieferknochen, nach den Zähnen daran zu urteilen –, das an einem Haken neben einer offenen Tür befestigt war. Leute drängten durch die Tür in den Treppenflur hinaus. Hin und wieder durchdrang das abgerissene Klimpern eines Klaviers das Lärmen angeregter Stimmen.
Rebecca bahnte sich auf der Suche nach Toby mühsam einen Weg durch das Gewühl. Die Glühbirnen waren mit mauvefarbenem Krepppapier abgeschirmt, die Gäste saßen auf Sofas und Stühlen oder standen in Gruppen um einen Bocktisch, auf dem ein Büfett aufgebaut war. Der Klavierspieler, der die Gäste unterhielt, hatte helles Haar, das ihm bis zum Kragen reichte, und trug einen Mantel.
Toby stand auf der anderen Seite des Raums und unterhielt sich mit einer jungen Frau. Sie war klein und zierlich, mit einem vollen Busen und einem hellhäutigen Gesicht voller Sommersprossen. Ihr langes rotes Haar fiel ihr in präraffaelitischen Locken über den Rücken. Zu einer Bauernbluse trug sie einen langen dunklen Rock, unter dem bloße Füße in Sandalen hervorsahen.
»Hallo, Toby«, sagte Rebecca, und er drehte sich um.
»Becky, Schätzchen.« Er umarmte sie. »Wie geht es dir?«
»Sehr gut, danke.«
»Wie schön, dich zu sehen.« Toby warf einen Blick über ihre Schulter. »Zu viel der Boheme für Milo?«
»Er ist gar nicht hier. Ich bin allein in London.«
Er sah sie neugierig an, dann aber sagte er: »Das finde ich eine großartige Idee. Das ist übrigens Artemis Taylor.« Die junge Frau in der Bauernbluse lächelte. »Artemis, das ist Rebecca Rycroft. Wir kennen uns schon ewig. Wir waren zusammen auf der Kunstakademie.«
»Und was machen Sie so?«, fragte die junge Frau.
Rebecca brauchte einen Moment, um die Frage zu verstehen, dann lachte sie. »Im Augenblick leider gar nichts. Ich habe seit Jahren nicht mehr gemalt. Sind Sie Künstlerin, Miss Taylor?«
»Bildhauerin. Zurzeit arbeite ich mit Treibholz. Wir waren am Wochenende in Aldborough. Am Strand haben wir ein paar phantastische Stücke gefunden.«
»Wir haben sie im Zug nach Hause befördert«, erzählte Toby. »Ich glaube, die Leute haben uns alle für verrückt gehalten.« Er legte Artemis den Arm um die Schultern. Rebecca begriff intuitiv, dass sie seine Freundin war, und war einen Moment enttäuscht, so absurd das auch sein mochte. Vor langer Zeit, vor Milo, war Toby in sie verliebt gewesen – aber das Leben ging natürlich weiter.
Toby fragte sie, was sie trinken wolle, und Rebecca bat um ein Bier, das in einem emaillierten Krug gebracht wurde. Eine Zeit lang unterhielten sie sich über Tobys Arbeit, aber dann trafen neue Gäste ein, und Rebecca sah sich an den äußeren Rand des Kreises gedrängt. Ihr Krug war leer, und sie ging zum Tisch, um sich noch etwas zu trinken zu holen. Auf den Platten tummelten sich nur noch die Reste einer roten Grütze, ein paar Kuchenkrümel und einige welke belegte Brötchen.
»Sie müssen Rebecca sein«, sagte plötzlich jemand hinter ihr. Der Klavierspieler.
»Ich bin Harrison Grey«, stellte er sich vor. »Wir haben miteinander telefoniert.«
Das also war der ungezogene Bursche, der Mann, der gesagt hatte, Sie haben eine schöne Stimme.
Sie sagte kühl: »Guten Abend, Mr. Grey.«
»Guten Abend, Miss Rycroft.« In den hellen, durchscheinenden Augen schimmerte ein Anflug von Spott. Sein Gesicht war hager mit eingefallenen Wangen, und er hatte eine lange schmale Nase und einen kleinen Mund.
»Mrs.«, sagte sie.
»Oh, ich bitte um Entschuldigung, Mrs. Rycroft.« Sein Ton klang amüsiert. Wahrscheinlich lachte er sie aus.
Ein unerträglicher Mensch, dachte Rebecca. »Wenn Sie mich entschuldigen würden…«
»Sie wollen mich doch nicht allein lassen?«
»Nun, allein sind Sie wohl kaum –«
»Aber ich verabscheue Partys. Wie ist es mit Ihnen, Mrs.
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