Der italienische Geliebte (German Edition)
klapperte sämtliche Kaufhäuser ab und kehrte mit Tüten voller neuer Sachen ins Hotel zurück.
Die Mahlzeiten im Hotel waren jedes Mal eine Qual. Bildete sie sich nur ein, dass die Kellner sich über sie lustig machten und die anderen Gäste sie neugierig beobachteten? Sie war nicht sicher. Und obwohl sie sich vornahm, Freunde anzurufen, tat sie es nicht. Diese Freunde waren zu ihren Festen in der Alten Mühle gekommen; sie kannten sie aus der Zeit, da sie und Milo noch das beneidenswerte Vorzeigepaar gewesen waren. Sie würden es vielleicht missbilligen, dass sie Milo verlassen hatte. Schlimmer noch, sie würden sie womöglich bemitleiden.
Harrison Grey ließ nichts von sich hören. Sie hatte geglaubt, er würde sich melden, aber er tat es nicht. Wahrscheinlich flirtete er mit jeder Frau, die gerade frei herumlief. Sie haben eine schöne Stimme, Rebecca. Das stammte vermutlich aus seinem persönlichen Ratgeber für Anbandelungsversuche.
Sie zog in ein anderes Hotel um, das Cavendish in Ladbroke Grove, weniger hochgestochen als das Wentworth. Das Zimmer war klein – sie kam nur seitlich zwischen ihren Koffern und dem Bett hindurch –, aber sie war zufrieden damit. Alles war anonymer, und das suchte sie ja gerade, Anonymität. In der Bar saßen Handlungsreisende und Vertreter, manchmal trank sie abends etwas mit ihnen. Sie erfand eine Familie für sich und eine Geschichte, um ihren einsamen Aufenthalt in London zu erklären, bekam Routine darin, die Hand auf dem Knie, die Einladung zu einem Schlaftrunk auf dem Zimmer abzuwehren.
Milo schrieb ihr; sie zerriss seine Briefe, ohne sie zu lesen. Eines Vormittags, als sie von einem Spaziergang ins Hotel zurückkam, stand er im Foyer und wartete auf sie. Sie müssten miteinander reden, sagte er, so könne es nicht weitergehen. Ihr gemeinsames Mittagessen im Lyons’ am Marble Arch war ein Desaster, ebenso der Spaziergang im Hyde Park, wo sie sich nur stritten, mit gesenkten zischenden Stimmen, um zu vermeiden, dass andere Spaziergänger mithörten. »Ich verstehe nicht, was das soll«, sagte er zu ihr. »In diesem Hotel zu kampieren, fern von zu Hause und deinen Freunden. Ich weiß, dass ich mich schlecht benommen und dich verletzt habe und ich bin bereit, dir noch hundertmal zu sagen, wie leid es mir tut, wenn das dich dazu bewegen kann, zu mir zurückzukommen. Ich war ein Idiot und ich verspreche dir, dass ich nie wieder eine andere Frau ansehen werde.«
»Aber ich liebe dich nicht mehr«, entgegnete sie. »Ich hasse dich nicht einmal. Ich empfinde gar nichts für dich.«
Milos Gesicht schien in sich zusammenzufallen, sein Schwung war verpufft.
Danach ging jeder seiner Wege, sie zum Hotel, er zum Bahnhof.
In dieser Nacht ging sie mit einem Handelsvertreter aus Bolton ins Bett, den sie in der Hotelbar kennengelernt hatte. Er war jünger als sie, Mitte zwanzig, schätzte sie, fast noch ein Jüngling. Er hatte ein hübsches, freundliches Gesicht mit einem klar gezeichneten Mund und weichen graublauen Augen, und sein magerer Körper war so weiß, dass er grünlich zu schimmern schien. Am nächsten Morgen fuhr er, vermutlich aus Verlegenheit, nackt wie er war in seinen Mantel, raffte seine Sachen zusammen und lief den Korridor hinunter ins Bad, um sich anzuziehen. Er hieß Len, und er gab ihre seine Adresse und bat sie, ihm zu schreiben. Aber sie schrieb ihm nie.
Sie wusste, dass sie unterzugehen drohte und verzweifelt um sich schlug, um sich oben zu halten. Nicht mehr lange, und sie würde vielleicht ertrinken.
Es kam ein Tag, an dem sie ihr Hotelzimmer überhaupt nicht verließ. Am frühen Morgen wachte sie verweint auf. Sie schaffte es nicht einmal, ins Bad zu gehen, als sie die anderen Gäste durch den Korridor schlurfen hörte. Eine Lähmung ergriff Besitz von ihr. Sie hatte Angst, in den Speisesaal hinunterzugehen, wo jeden Morgen die Männer die Köpfe von ihrem Rührei mit Schinken hoben und sie anstarrten.
Am nächsten Morgen entwarf sie in ihrem Terminkalender einen Plan. Frühstück in Zukunft in einem Café in der Nähe, das würde ihr die morgendliche Tortur im Speisesaal ersparen. An schönen Tagen würde sie sich ein Sandwich kaufen und es mittags im Park essen, bei schlechtem Wetter würde sie sich ins Lyons’ setzen. Sie würde sich bei einem Friseur anmelden und sie würde ihre Fingernägel pflegen. Dienstags würde sie ins Kino gehen und Freitagnachmittag immer in ein Konzert. Sie würde sich einen
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