Der italienische Geliebte (German Edition)
Tanzen empfunden hatte, war verflogen, und sie brachte nur ein, »Ja, tun Sie das, wenn Sie wollen«, hervor.
Kurz nachdem Harrison gegangen war, begann die Gesellschaft sich aufzulösen, und am Ende waren sie nur noch zu dritt, Rebecca, Toby und Artemis. Das war der Moment, als sie zu weinen anfing. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht wie Wasser aus einem überkochenden Topf. Toby sagte: »Oh, Rebecca« und »Nicht weinen, Schätzchen« und »Es geht um Milo, stimmt’s?« Aber sie konnte nicht aufhören. Sie nahm undeutlich wahr, dass Artemis Taylor taktvoll verschwand, während Toby ihr Tee kochte und Aspirin verabreichte.
Als sie es geschafft hatte, einen Schluck Tee zu trinken und die Aspirin hinunterzuwürgen, sagte er liebevoll: » Na, komm, sag’s Onkel Toby.«
Und das tat sie. Natürlich erzählte sie ihm nicht alles, sie schwieg von Tessa Nicolson, dem Kind und ihrem Anruf, weil das Dinge waren, die sie niemals einem Menschen anvertrauen würde. Aber sie sprach von Milos Eskapaden, worauf er sagte: »Dieser Mistkerl« und »Du bist ohne ihn besser dran«, was sie aus irgendeinem Grund überhaupt nicht aufmunterte.
Sie drückte Tobys Taschentuch zu einem nassen Knäuel zusammen. Ihre Ehe war vorbei, und sie wusste nicht, was sie mit dem Rest ihres Lebens anfangen sollte. Sie fühlte sich sinnlos ohne Milo – ja, sie wusste nicht, wie sie ihre Tage zubringen sollte. Sie hasste es, allein in diesem grässlichen Hotel zu hausen. Sie hasste die Empfangsdame mit ihrem abschätzigen Blick, und sie hasste den Kellner, der ihr, als er gesehen hatte, dass sie ohne Begleitung war, den kleinsten Tisch in der dunkelsten Ecke des Speisesaals gegeben hatte.
Schließlich hörte sie doch auf zu weinen. Eine Art Ernüchterung trat ein.
»Willst du denn zu Milo zurück?«, fragte Toby.
»Nein.« Sie saßen nebeneinander auf einem Sofa, rundherum schmutzige Tassen und Gläser und schwarz versengte Fetzen Krepppapier. »Mir ist jetzt klar, dass es schon seit Jahren aus war«, sagte sie unglücklich, »aber ich war zu blind, um es zu merken. Jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll.«
»Warum sollst du denn etwas tun , Becky?«, fragte Toby. »Du musst dir doch keine Arbeit suchen, oder?«
»O nein, finanziell geht es mir gut. Milo hat eine Menge Fehler, aber er war nie geizig.« Sie hatten ein gemeinsames Bankkonto. Das konnte kaum so bleiben, fiel ihr ein, wenn sie sich scheiden ließen – eine weitere traurige Veränderung, auf die sie sich einstellen musste.
»Warum willst du dann nicht mal einfach nur leben ? Abwarten, was das Leben bringt? Warum nicht einfach mal Spaß haben?« Toby lächelte. »Ich war mein Leben lang ziemlich planlos. Ich habe immer von einem Tag zum anderen gelebt. Und das ist gar nicht so schlecht.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
»Versuch’s. Ich bin immer für dich da, wenn du jemanden brauchst, dem du dein Herz ausschütten kannst.«
»Danke, Toby. Es ist mir so peinlich, dass ich so eine Szene hingelegt habe.«
Er umarmte sie. »Unsinn. Wozu sind Freunde denn da?«
»Ich werde es versuchen«, sagte Rebecca entschlossen. »Ich werde tun, was du sagst, die Dinge einfach geschehen lassen. Wer weiß, vielleicht macht es mir ja sogar Spaß.«
Toby hatte frischen Tee gekocht und bot ihr das Sofa zum Übernachten an. Nachdem sie den Tee getrunken hatte, kroch sie also unter eine warme Decke und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen hatte sie Kopfschmerzen vom vielen Weinen. Im schmuddeligen Gemeinschaftsbadezimmer wischte sie sich die verschmierte Schminke vom Gesicht, dankte Toby und nahm den Bus zurück zum Elgin Crescent. Sie kam sich schmutzig und ungepflegt vor, als sie in den Kleidern des Vortags zum Hotel ging. Die Empfangsdame quittierte ihre Bitte um den Schlüssel mit einem vielsagenden Blick. Rebecca sah ihr kühl ins Gesicht, und die Frau senkte die Lider.
So merkwürdig es war, das enge kleine Hotelzimmer hatte etwas Tröstliches. Sie trank ein paar Gläser Wasser, hängte das ›Nicht Stören‹-Schild vor die Tür, kletterte ins Bett, zog die Decke hoch und schlief weiter.
Sie versuchte es. Sie versuchte es wirklich. Warum nicht einfach mal leben? Warum nicht ein bisschen Spaß haben? Sie besuchte die National Gallery und die Tate und ging zu Nachmittagskonzerten in der Wigmore Hall. Bei schönem Wetter unternahm sie Spaziergänge in einem der königlichen Parks oder am Themse-Embankment. Sie
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