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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht.«
    »Ein Tong! O könnte ich den Jade-Pavillon auf deinem Kopf zerschmettern, damit in ihm der Name für immer ausgelöscht wird! Du bist mein Mann, und ich bin deine Frau, und wir wollen leben, ich will Kinder von dir haben, und ein kleines Stückchen Erde soll uns gehören, gute Erde, nicht mit Blut getränkt, und Blumen sollen darauf wachsen und Kräuter und Ingwerwurzeln, und wir werden einen Kamelienbaum pflanzen, und er soll fünfhundert Jahre alt werden und zehntausend Blüten tragen wie der Kamelienbaum von Lijiang, und alle, die vor ihm stehen, fünfhundert Jahre nach unserem Tod, sollen sagen: ›Seht, ihn haben Jian und Lida gepflanzt, weil sie so stark waren in ihrer Liebe. So stark und unzerbrechlich wie dieser Stamm.‹ Aber du stehst hier, den Kopf stolz erhoben, und läßt dich totschießen!«
    »Noch weiß keiner, was morgen ist«, sagte Jian. »Ja, wir können morgen tot sein, aber man könnte uns auch als Sieger feiern. Es ist alles möglich.«
    In der Nacht vom 3. zum 4. Juni 1989 erreichte der Schreckensruf die Hunderttausende von Menschen auf dem Tiananmen-Platz: »Die Armee marschiert! Die Panzer rollen!«
    Sie kamen von zwei Seiten, die Chongwenmen Dajie und die Xuanwumen Dajie herunter, Panzer hinter Panzer, die Turmluken geschlossen, die Kanonenrohre waagerecht gestellt zum direkten Beschuß, die schweren Maschinengewehre feuerbereit ausgeschwenkt. Scheinwerfer erhellten den Platz des Himmlischen Friedens, die Menschen schlossen sich zusammen, bildeten eine kompakte Masse, und die Panzer änderten die Richtung und fuhren genau auf diese Mauer zu, und als sich einige Mutige aus ihr lösten, den Panzern mit hocherhobenen Armen entgegenliefen und schrien: »Ihr seid doch auch das Volk! Ihr seid doch unsere Söhne und Brüder! Bleibt stehen und laßt uns sprechen!«, begann das Rattern der Maschinengewehre, und die ersten Getroffenen wälzten sich in ihrem Blut.
    »Sie schießen wirklich!« schrie Reindl und riß Bai das Megaphon aus der Hand. »Sie wollen uns niederwalzen!« Und dann brüllte er durch das Megaphon: »Stürmt die Panzer! Stürmt sie! Schüttet Benzin in jede Ritze und steckt es an! Klettert hinauf und holt die Mörder heraus! Genossen, zeigt, daß wir die Macht haben!«
    Eine Welle von Leibern brandete auf die Panzer zu. Auch Jian rannte auf sie zu und sah ein paar Meter neben sich, wie Holger plötzlich stockte, sich an den Oberschenkel griff und zusammensackte. Jian rannte zu ihm hin und kniete sich neben ihm auf den Boden.
    »Kannst du noch gehen?« rief er. Er mußte schreien; der Lärm der Panzerketten, das Schießen, das Schreien der Verwundeten übertönte alles. Mit von Entsetzen geweiteten Augen sah Jian, wie ein Panzer einen jungen Studenten, der eine Fahne schwenkte, überrollte, wie die Ketten seinen Körper zermalmten, wie Blut nach allen Seiten spritzte; aber der Panzer fuhr weiter, und als er den Körper des Studenten wieder freigab, lag auf dem Pflaster ein unförmiger, blutiger Brei, der nichts Menschenähnliches mehr hatte.
    »Leg deine Arme um meinen Hals!« schrie Jian. »Ich trage dich weg.«
    »Geh! Lauf! Rette dich!« Holger schüttelte den Kopf. »Laß mich liegen, Jian. Sie ertränken uns in Blut. Lauf, Jian.«
    Die Menschenmasse auf dem Platz brach auseinander. Die Menschen flüchteten nach allen Richtungen und versuchten, ihr Leben zu retten. Und immer noch schossen die Panzer und wälzten sich über Tote und Verwundete.
    Jian versuchte, Holger vom Pflaster hochzuheben, aber er war zu schwer und rutschte ihm aus den Händen. Und dann sah er Lida, und das Herz blieb ihm stehen. »Zurück, Lida!« brüllte er. »Lauf! Lauf!«
    Es war, als höre sie ihn nicht. Sie ging zwischen den Toten und Verwundeten wie eine Schlafwandlerin dahin, hatte die offene Kunstledertasche um den Hals hängen und trug den Jade-Pavillon wie eine Heiligenfigur vor sich her. Sie blieb nicht stehen, als ein Panzer herumschwenkte und auf Holger, Jian und sie zurollte.
    »Lida!« schrie Jian noch einmal, und dann fiel er auf die Knie, hob beide Hände in den Nachthimmel und sagte mit brechender Stimme: »Lieber Gott, schütze sie, laß sie leben!«
    In diesem Augenblick geschah etwas Unbegreifliches. Lida streckte dem anrollenden Panzer den Jade-Pavillon entgegen, und es war, als treffe eine unbekannte, übermächtige Kraft den Koloß aus Stahl.
    Es war ein unsichtbarer, unüberwindlicher Strahl, und der Panzer drehte ab, die auf Lida, Jian und Holger gerichteten

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