Der Jade-Pavillon
mißachtet und gebrochen«, unterbrach ihn mit kühler Stimme der Vorsitzende des Militärgerichts, ein General. »Sie haben China, das Ihnen Gastfreundschaft gewährte, in ein Chaos stürzen wollen. Sie haben sich eines Verbrechens am chinesischen Volk schuldig gemacht. Was haben Sie dazu zu sagen?«
»Nichts! Ich will den westdeutschen Botschafter sprechen!« schrie Reindl.
»Ihr Botschafter kann Ihnen nicht helfen.« Der General blickte mit kalten Augen auf Reindl hinunter. »Sie haben Ihre Verbrechen in China begangen, und China wird Sie verurteilen. Ich fordere Sie auf: Nennen Sie die Namen Ihrer Mittäter! Die meisten kennen wir. Ihr oberster Führer Bai Hongda ist ebenfalls gefangengenommen worden.«
»Dann fragen Sie ihn und nicht mich!« gab Reindl zur Antwort. »Er kennt sie alle. Ich war völlig unwichtig in der Organisation.«
»Wir haben andere Informationen. Es gibt einige Gefangene, die mehr reden als Sie.«
»Weil ihr sie foltert!« schrie Reindl. »Sie sagen alles, was ihr hören wollt. Verdammt nochmal: Ich will den Botschafter sprechen!«
Der General schwieg und gab zwei Soldaten einen Wink. Sie rissen Reindl herum und schleppten ihn aus dem Zimmer, schleiften ihn in den Hof des Hauses und stellten ihn an eine rotgestrichene Wand. Ihm gegenüber standen zwölf Soldaten, die ihre Gewehre im Anschlag hielten. Ein junger Leutnant befehligte sie und hob den Arm, als Reindl allein vor der Wand stand. Plötzlich begriff er, was mit ihm geschehen sollte. Er begann zu brüllen und wollte weglaufen, aber seine Beine waren zu keinem Schritt mehr fähig.
»Das könnt ihr nicht machen!« Reindls Stimme überschlug sich und ging in ein Kreischen über. »Ich bin Deutscher! Ich stehe unter dem Schutz meiner Botschaft! Meine Regierung wird protestieren und ihre Verbindungen zu China abbrechen! Ihr seid doch wahnsinnig, ihr könnt doch nicht – «
Der Arm des Leutnants fiel herunter. Zwölf Schüsse dröhnten wie ein Schuß, und mit einem ungläubigen Erstaunen spürte Reindl, wie er achtmal getroffen wurde; im Bruchteil einer Sekunde empfand er, daß aus seinem Körper Flammen schlugen, dann setzte sein Gehirn aus, er rutschte an der Mauer herunter, fiel wie ein weggeworfenes Stück Holz nach vorn und lebte nicht mehr.
Am 5. Juni betrat Song Keda, ein Offizier der Geheimpolizei, die Villa Dr. Pohlands. Erika öffnete ihm. Sie war über Nacht um Jahre gealtert, und sie führte Song schweigend in das große Wohnzimmer, wo Dr. Pohland sich aus einem Sessel erhob.
»Ich habe Sie erwartet«, sagte er, als sich Song mit aller Höflichkeit vorstellte. »Mein Sohn liegt in seinem Zimmer, er ist schwer verwundet. Ich führe Sie zu ihm.«
Song Keda schüttelte den Kopf, was Dr. Pohland mit sprachlosem Erstaunen erfüllte. Auch Erika, die am Türrahmen lehnte und aus deren Augen Tränen rollten, begriff nicht, was sie sah.
Song ging an eines der Fenster, blickte in den schönen Garten hinaus und drehte sich dann um. »Professor Pohland«, sagte er, als sei es eine freundschaftliche Unterhaltung, »das chinesische Volk weiß zu würdigen, was Sie für es getan haben. Wir wissen, daß Sie unser Land lieben, daß Sie alle Ihre Kraft und Ihr Wissen China gegeben haben, daß im Laufe der vergangenen Jahre Tausende von Studenten Ihre Lehren aufgenommen haben und nun als Ärzte zum Wohl des Volkes verwerten. China will Ihnen in diesen schwersten Stunden seiner neueren Geschichte seine Dankbarkeit erweisen und Ihnen nicht vorwerfen, der Vater eines zu hitzigen Sohnes zu sein. Zum Beweis unserer Hochachtung weisen wir Sie und Ihre Familie nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden aus, sondern geben Ihnen drei Tage, damit Sie in aller Ruhe Ihren Umzug nach Deutschland vorbereiten können. Eine Abordnung des Kulturministeriums wird Sie dann zum Flugzeug begleiten.« Er machte eine leichte Verbeugung. »Ich habe den Auftrag, Ihnen den Dank der Volksrepublik China auszusprechen.«
»Und was geschieht mit meinem Sohn Holger?« fragte Dr. Pohland. Seine Stimme war heiser und zitterte.
»Er ist Ihr Sohn, ein Mitglied der Familie, und wir haben gesagt, die Familie Pohland kann in drei Tagen ausreisen.« Song lächelte Dr. Pohland an, als habe man fröhlich miteinander geplaudert. »Wo ist Ihr Gast Tong Jian?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn zwei Tage lang nicht gesehen.«
Song nickte. Er wußte, daß Dr. Pohland log, aber das änderte nichts an seiner Höflichkeit. Die Geheimpolizei arbeitete lautlos, und es war nur
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