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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Hunderttausende den Tod von Zhou Enlai betrauert, und aus dieser Trauer wurde der Aufstand gegen die Tyrannei der Viererbande. Sie wurde verhaftet, der Mut des Volkes siegte. Und denkt an den 4. Mai 1919! Zum ersten Mal wagten es damals Studenten in China, für Demokratie und Freiheit auf die Straße zu gehen, und die Kommunisten waren sprachlos und wie gelähmt vor der Macht des Volkes.«
    »Um es später blutig niederzuknüppeln«, sagte Jian.
    »Es war ein Anfang, ein Signal!« schrie Reindl. »Und morgen wird es wieder ein Signal sein, und es wird in allen Städten gehört werden, und Millionen werden auf den Plätzen stehen und mit uns solidarisch sein! Morgen beginnt der Marsch in die Freiheit.«
    »Brauchen wir einen Deutschen, um uns sagen zu lassen, wohin Chinas Weg führt?« rief einer der Studentenführer. »Hongda, du bist unser Kopf. Wir werden Hu Yaobangs Bild an den Obelisken hängen und demonstrieren. Und wir werden immer wieder auf den Platz des Himmlischen Friedens kommen und so lange rufen, bis Deng Xiaoping uns die Freiheit verspricht oder verschwindet. Kameraden, morgen marschieren wir!«
    »Was hältst du davon, Holger?« fragte Jian, als sie auf ihren Fahrrädern nach Hause fuhren.
    »Es ist Zeit, mit dem Aufstand zu beginnen«, antwortete Holger. »Morgen werden es ein paar tausend sein. Übermorgen hunderttausend. Es ist wie ein Schneeball, den man einen Berghang hinunterrollen läßt. Er wird zu einer Lawine werden, die alles mit sich reißt.«
    »Du sagst es. Sie bringt die Vernichtung mit.«
    »Willst du aussteigen?« fragte Holger. »Machst du nicht mehr mit?«
    »Wie kannst du eine solche Frage stellen?« Jian schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Chinese und stehe zu meinem Wort. Ich verlasse doch nicht meine Freunde!«
    In der Nacht noch, unter Leitung Reindls und eines anderen Studentenführers und nicht gehindert von Polizei oder Miliz, hängten vierzig Studenten ein riesiges Bild von Hu Yaobang am Obelisken auf, brachten Blumengebinde herbei und zogen schwarze Spruchbänder um das Bild, auf denen ›Gerechtigkeit für Hu!‹ stand.
    Ein Polizeioffizier kam neugierig näher und fragte: »Habt ihr eine Genehmigung für diese öffentliche Totenfeier?«
    Einer der Studenten antwortete: »Ja. Sie können sich morgen davon überzeugen, Genosse Offizier.« Als der Mann in Uniform fortfuhr: »Zeigt mir das Papier!«, erwiderte der Student: »Ein Papier kann man zerreißen. Wir haben die Genehmigung des Volkes, das kann man nicht zerreißen.«
    Etwas verwirrt verließ der Offizier die Studenten, und er unternahm nichts, was sie an ihrem Tun gehindert hätte.
    Am nächsten Tag standen zweitausend Studenten und Neugierige vor dem Obelisken und Hus Bild und hörten Bai Hongda zu, der mit Hilfe eines Megaphons zu ihnen sprach.
    »Ein Mann ist tot, der China in eine freie Zukunft führen wollte!« rief er, und seine Stimme dröhnte über den Platz des Himmlischen Friedens. »Man hat ihn weggejagt, aber jetzt sind wir da und ihr, das Volk! Ich frage euch: Wollt ihr weiter unter der Herrschaft des Kommunismus leben? Wollt ihr keine freien Menschen sein? Wollt ihr euch weiter vorschreiben lassen, wo ihr arbeiten und leben dürft, was ihr sagen könnt und worüber ihr schweigen müßt? Wollt ihr weiter so leben, wie es eure Einheiten befehlen? Die Welt ist für jeden offen, auch für uns Chinesen.«
    Das Fernsehen kam und filmte die Demonstration, Zeitungsreporter fotografierten und nahmen Bais Rede auf Tonbänder auf, und auch ausländische Korrespondenten waren auf dem Platz und sprachen aufgeregt in ihre Mikrofone. Eine Kompanie Polizei versammelte sich vor der Halle des Volkes, aber sie griff nicht ein. Ihr Befehl lautete: Beobachten.
    Jian stand ganz nahe vor einem der Reliefs, die den Sockel des Obelisken zierten und das Heldentum chinesischer Soldaten verherrlichten. Neben ihm hockte auf einem Klappstuhl Lida, und sie hielt eine neue, kunstlederne Tasche auf dem Schoß, die sie an einem Riemen auch über der Schulter tragen konnte; in der Tasche lag, in ein großes, neues Frotteetuch eingewickelt, der Jade-Pavillon. Sie sah zu Jian hinauf, der im Sprechchor mitschrie: »Gerechtigkeit für Hu Yaobang!«, und sie begriff nicht, warum Jian das tat und sich in Gefahr begab, statt ihr auszuweichen. Aber sie war neben ihm, und dort würde sie bleiben, was auch geschah.
    Zunächst geschah wenig; die alten Männer in der Regierung, an der Spitze Deng Xiaoping, warteten ab und waren so klug, das noch

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