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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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anzog, wie die Enten unten auf dem Teich nach Grünzeug tauchten und ein Kranich über die Reisterrassen schwebte, mit dem warmen Wind spielend, der ihn trug ohne einen Flügelschlag. Nicht einmal meinen Namen wirst du mehr wissen, ausgelöscht werde ich sein, du wirst Kinder haben, und die Dynastie der Tongs wird stolz auf dich sein.«
    Es war Huang selbst, der die schreckliche Frage stellte: »Wann wollen Sie fahren, Jian?«
    »Morgen. Zuerst nach Dali, wo ich bei Zhang Shufang übernachten werde, und am nächsten Tag zurück nach Kunming.«
    »Und wann bekomme ich meine Medizin?« fragte Chang. »Wenn ich mir die Lunge aus dem Leib gespuckt habe, ist es zu spät.«
    »Ich bin so schnell wie möglich wieder hier.«
    Welch ein dehnbares Wort, dachte Lida und wunderte sich, daß sie noch atmen konnte. So schnell wie möglich, und das wichtigste Wort war dabei das Wort ›möglich‹, denn was heißt möglich, es ist etwas, das nicht zu greifen ist. Möglich kann alles bedeuten, auch die Unmöglichkeit. Jian, deine Augen sind so ehrlich, aber was ist die Wahrheit?
    Am nächsten Tag fuhr Jian sehr früh ab, aber noch früher als er hatte Lida das Haus verlassen und war mit ihrem Büffel in die Felder gezogen. Damit er sie nicht finden konnte, hatte sie ein Maisfeld ausgesucht, das nur über einen schmalen Feldweg zu erreichen war und in einer Senke zwischen zwei Hügeln lag. Hier fand sie keiner, der das Umland von Huili nicht kannte, und hier setzte sie sich in eine kleine Höhle, zog die Knie an, stützte den Kopf darauf und starrte über das Land, das die Morgensonne beschien.
    Chang Lifu hatte Jian zum Auto begleitet, in seinen Augen lag ein listiges Blinzeln, als er sich gegen den Kofferraum lehnte und fragte: »Kannst du Rätsel lösen, Jian?«
    »Es kommt auf die Schwere des Rätsel an.«
    »Es ist ganz leicht und doch so schrecklich schwer. So etwas gibt es. Man muß nur den Weg zur Lösung finden, dann ist es ein Kinderspiel.«
    »Und du kennst solch ein Rätsel?«
    »Ich glaube. Hör zu: Kann ein Sehender blind sein?«
    Jian sah Chang verständnislos an, aber dann schüttelte er den Kopf und lachte sogar. »Das ist ein dummes Rätsel. Gesunde Augen können nie blind sein.«
    »Sie können es, Jian.«
    »Du bist manchmal ein einfältiger Mensch, Chang. Wenn ich alles sehen kann, bin ich doch nicht blind.«
    Chang streckte den Arm aus und wies in die Ferne. »Siehst du auf dem Berg die einsame Kiefer?« fragte er.
    »Natürlich.«
    »Und siehst du den Reiher, der über dem Reisfeld schwebt?«
    »Ganz deutlich sehe ich ihn.«
    »Du hast gute, scharfe Augen, Jian – warum bist du dann ein Blinder, wenn du Lida ansiehst?«
    Jian spürte in sich eine Hitze aufsteigen, die bis in seinen Kopf drang und sein Blut klopfen ließ. »Was willst du damit sagen?« fragte er, und seine Stimme klang gepreßt.
    »Siehst du Blinder nicht, daß sie dich liebt?«
    »Es ist anders, Chang.« Jian holte tief Atem. »Ich liebe sie.«
    »Und hast du es ihr gesagt? Hast du dein Herz aus der Brust genommen und es ihr hingehalten?«
    »Nein. Ich hatte Angst.«
    »Angst wovor?«
    »Daß sie in Lachen ausbricht oder davonläuft und mich nie wieder ansehen will.«
    »Also bist du als Sehender doch blind. In ihren Augen schimmert die Sonne, wenn sie dich ansieht, ein Teil des Himmels ist in ihr, wenn du in ihrer Nähe bist – und du siehst es nicht.«
    Jian schämte sich, daß Chang ihm so etwas sagen mußte; er atmete schwer und preßte die Lippen aufeinander. »Wo ist sie jetzt?« fragte er endlich.
    »Irgendwo im Feld.«
    »Ich fahre zu ihr und werde mit ihr sprechen. Chang, sag die Wahrheit: Liebt sie mich wirklich?«
    »Wie kann ein zukünftiger Arzt, ein gelehrter Mann wie du, nur so dumm sein?« Chang schüttelte den Kopf. Er hielt Jian am Ärmel seines Hemdes fest, als dieser in den Wagen steigen wollte. »Du willst sie zur Frau nehmen?«
    »Ja, Chang.«
    »Zur Frau, meine ich, nicht zur Konkubine.«
    »Wärst du kein alter, kranker Mann, bekämst du jetzt Prügel, die du nie vergessen würdest. Ich werde Lida heiraten.«
    »Das wird einen großen Kampf geben zwischen dir und deinem Vater. Die Familie Tong wird sie nicht im Hause haben wollen.«
    »Ich werde mein eigenes Haus haben.«
    »Aber wann? Noch bist du Student und streckst die Beine unter dem Tisch deines Vaters aus. Noch bist du der Sohn, der dem Vater Gehorsam schuldet.«
    »Lida und ich sind jung genug zu warten, bis wir unser Leben und unsere Zukunft selbst bestimmen

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