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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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zur Seite stehen kann?«
    »Sie wird es können. Wir alle wachsen mit unseren Aufgaben.« Jian sah auf seine Armbanduhr. Sie war aus Gold und keine Fälschung, wie sie in Hongkong an die gutgläubigen Touristen verkauft werden. »Ich habe bis Kunming noch vierhundert Kilometer vor mir. Ich muß fahren, Onkel Zhang.«
    Sie umarmten sich. Zhang brachte Jian bis zum Wagen und hob winkend den Arm, als er über den holprigen Feldweg fuhr, der zu Zhangs einsam am See gelegenen Haus führte. Dann, als er den Wagen nicht mehr sah, ging er in sein Atelier zurück, betrachtete seine halbfertigen Bilder und sagte nachdenklich: »Ich kann ihn verstehen. Ich habe in jungen Jahren eine Dong geliebt, aber ihr Vater hatte sie als Kind schon einem anderen versprochen. Ich war zum Sterben krank vor Kummer, ich habe nie wieder ein anderes Mädchen lieben können. Was hätte mich damals Han oder Dong gekümmert! Wirklich, ich kann Jian verstehen.«
    Er setzte sich vor ein Bild, ergriff den Tuschpinsel und malte mit ihm ein Mädchengesicht in die Blütenzweige. Er wußte genau noch, wie sie ausgesehen hatte.
    Was die Seele einmal aufgenommen hatte, verblaßte nie.
    Zu Hause wurde Jian von seiner Mutter Meizhu empfangen, die ihn musterte und mit seiner Erholung in den Ferien zufrieden war. Er war von der Sonne gebräunt und von einer Fröhlichkeit, die man oft an ihm vermißt hatte.
    Während der ganzen langen Fahrt hatte er sich Onkel Zhangs Worte wiederholt und darüber nachgedacht. Was er ihm geraten hatte, war zu lügen, aber er war erzogen worden, die Wahrheit nicht zu verstecken. Mit einer Lüge zu leben, hatte er bisher noch nicht versucht, ja, schon der Gedanke daran war ein Frevel an seinem ihm vertrauenden Vater. Er hatte immer gesagt, was er dachte, und der anhaltende Streit mit seiner Schwester Fengxia und seinem Schwager Wu Junghou war nur der Preis für seine Ehrlichkeit.
    Ein Wort des Vaters fiel ihm ein, als die Auseinandersetzung mit Wu fast zu Tätlichkeiten geführt hätte. Damals sagte Tong: »Sei diplomatischer, mein Sohn. Ein Diplomat sagt nie die Unwahrheit, auch wenn sie eine ist. Die Wahl der Worte ist wichtiger als ihr Inhalt.«
    Halten wir es also mit diesem Spruch, mein Vater. Ich lüge nicht, wenn ich schweige, und wenn ich rede, wird es das Dorf Huili nicht geben.
    »Wo ist Vater?« fragte Jian, nachdem er den Straßenstaub von sich geduscht und einen seidenen Morgenmantel übergezogen hatte. Das Haus kam ihm jetzt protzig vor, überladen mit Figuren und Schnitzereien und den westlichen Möbeln, die Tong aus Guangzhou, wie heute das alte Kanton heißt, hatte kommen lassen. Jian hatte das bisher nie empfunden, und als er sich nach dem Duschbad für ein paar Minuten auf ein von einer Seidendecke bedecktes Bett legte, dachte er an das Bett des Lehrers Huang Keli und an die danebenliegende Tür, durch die immer frische Luft in den Raum kam. Er hatte wunderbar in diesem Bett geschlafen, tief und traumlos, erschöpft von der harten Feldarbeit, aber unendlich glücklich, den ganzen Tag über an Lidas Seite gewesen zu sein.
    Das einzige, was ihn bedrückte, war das Ergebnis der gründlichen Untersuchung von Onkel Chang Lifu. Sein trockener Husten und sein blutiger Auswurf waren die untrüglichen Zeichen einer Tuberkulose. Dazu kam eine chronische Bronchitis; wenn Jian mit dem Stethoskop Chang abhörte, röhrte und knatterte es in seiner Brust, und Jian hatte Mühe, ruhig zu sagen: »Chang, deine Lunge ist zwar angegriffen, aber es gibt Medikamente, die dir helfen können.«
    Er sagte ›helfen‹, nicht ›heilen‹, denn eine Heilung war in diesem Stadium nicht mehr möglich. Die Krankheit hatte den Körper bereits ausgezehrt, und Chang schien die Wahrheit zu ahnen, auch wenn er zustimmend nickte.
    »Hier gibt es die Medizin nicht, vielleicht auch nicht in Dali, aber in Kunming bestimmt. Ich werde sie zusammenstellen lassen und bei meinem nächsten Besuch mitbringen.«
    Es war das erste Mal, daß Jian vom Fortgehen sprach. Er sah, wie sich Lidas Augen weiteten, wie ihr Gesicht versteinerte, aber sie sprach kein Wort, sie fragte nicht, sie blickte ihn nur an, und in diesem Blick lag die ganze Wehmut dieser Welt. »Du kommst nicht wieder«, rief dieser Blick. »Wenn du in Kunming bist, hast du Huili vergessen. Wir werden uns nie wiedersehen, und du wirst einmal ein schönes, reiches Mädchen heiraten, ein berühmter Arzt werden und dich nicht mehr daran erinnern, wie wir den Pflug in die Erde drückten und der Büffel

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