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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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können.«
    »Das wird noch Jahre dauern.« Chang ließ Jian in das Auto steigen und mußte vor Aufregung wieder husten. Es klang wie das Bellen eines heiseren Hundes. Er krümmte sich und drückte die Hände gegen seine Brust.
    Jian senkte den Kopf. Noch ein Jahr, dachte er. Nein, noch nicht einmal ein Jahr – es wird früher geschehen. Seine Lungen sind zerfressen vom Tuberkelbazillus. Man müßte Chang eigentlich isolieren, aber wohin mit ihm? Niemand wird ihn aufnehmen zum Sterben, er ist schon tot in den Augen der anderen Menschen, und man wird denken: Soll er sich doch in eine Ecke legen, ruhig sein und ohne Belästigung der anderen hinweggehen.
    »Ich werde Lida auf den Feldern suchen«, sagte Jian und zog die Autotür zu. »Du hast mir großen Mut gemacht, Chang. Wirklich, ich bin ein Blinder.«
    Aber Jian fand Lida nicht. Das Maisfeld zwischen den Hügeln kannte er noch nicht. Er lief alle Felder ab, doch weder der Büffel noch Lida waren zu entdecken. Auch als er sich an den Ententeich stellte, die Hände wie einen Trichter vor den Mund hielt und, so laut er konnte, immer wieder ihren Namen in alle Himmelsrichtungen rief – er bekam keine Antwort.
    Doch Lida hörte ihn, und sie preßte die Hände gegen die Ohren und begann zu weinen, und der Büffel stand vor ihr und leckte mit seiner rauhen Zunge über ihre Hände, weil die Tränen, die durch ihre Finger quollen, salzig waren. Und er mochte Salz.
    Nach langen Minuten des Rufens gab Jian auf, ging zu seinem Auto zurück und fuhr mit Verzweiflung im Herzen nach Dali zu Onkel Zhang Shufang.
    Am nächsten Tag stand Chang bei Dayao am Straßenrand und winkte dem überfüllten Bus von Kunming über Dukou nach Chengdu zu anzuhalten. Nur weil Chang ein alter Mann war, den man ehren mußte, bremste der Fahrer, und Chang quetschte sich zwischen die anderen Reisenden und sagte, nach allen Seiten Dank nickend: »Immer ist noch ein Plätzchen frei, wenn man zusammenrückt. Wir sollten alle viel mehr zusammenrücken, Genossen. Wieviel Platz gäbe es da!«
    Den Rückweg von Dukou, wo er ausgestiegen war, legte Chang mit einem Lastwagen zurück und opferte dafür einen ganzen Yuan. Vier Sargschreiner schleppten einen mit Schnitzereien verzierten Sarg aus schwerem Holz zu dem Lastwagen, wuchteten ihn auf die Ladefläche, und Chang setzte sich auf den Sargdeckel und rief dem Fahrer zu: »Das war's, Genosse. Jetzt habe ich nicht eine Münze Geld mehr, aber einen so schönen Sarg wie ein hochgestellter Herr. Er kommt mir auch zu – du weißt ja nicht, wen du jetzt fährst. Vor über zehn Jahren – « Er stockte, winkte ab und strich über die Schnitzereien des Sarges. »Fahr zu.«
    Die Familie Huang war betroffen, als am Abend vier Bauern von Huili Changs massiven Sarg den Hügel zum Lehrerhaus heraufschleppten. Sie stellten ihn in dem Anbau neben dem Stall, wo Chang seine Liege aufgeschlagen hatte, ab, und einer sagte: »Ein schöner Sarg, der fällt nicht so schnell zusammen.«
    Huang kam in den Anbau, betrachtete den Sarg von allen Seiten und fragte: »Was geht in dir vor, Chang? Warum hast du einen Sarg gekauft?«
    »Kennst du nicht das alte Sprichwort: ›Bereite dich mit siebzig auf das Sterben vor‹? Ich will würdig begraben werden als der Kommissar Chang Lifu.«
    »Du bist noch keine Siebzig.«
    »Die paar Jährchen, die noch fehlen, Huang, werde ich nicht erleben. Es war jetzt die richtige Zeit, mir den Sarg zu kaufen.«
    »Nur weil du hustest?«
    »In mir brennt etwas ab.« Chang setzte sich wieder auf seinen schönen Sarg. »Wo werdet ihr mich begraben?«
    »Daran zu denken wäre Zeitverschwendung.«
    »Ich habe einen Wunsch.«
    »Sprich ihn aus.«
    »Richtet mir mein Grab dort drüben auf dem roten Felsen. Es wird mühsam sein, aber es ist mein letzter Wunsch.«
    »Und warum gerade auf dem roten Felsen?« fragte Huang erstaunt.
    »Von dort blicke ich weit übers Land – über das Land, in dem ich ein kleiner Herrscher war. Sie haben mich alle gehaßt, den mächtigen Kommissar Chang Lifu, nun, im Tode, will ich mit tiefer Demut um Verzeihung bitten.« Chang stemmte den Deckel vom Sarg, holte Decke und Kissen von seinem Lager und polsterte damit den Sarg aus. Vor den Augen Huangs legte er sich hinein.
    »Steh auf«, sagte Huang gepreßt. »Ich kann so etwas nicht sehen.«
    »Du wirst dich dran gewöhnen, Huang. Ab heute werde ich nur noch in meinem Sarg schlafen, und eines Morgens werdet ihr mich finden, und ich atme nicht mehr.«
    Am späten Abend – Chang

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