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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einem guten Polster, nicht eingezwängt in die schwitzenden Menschen, die der Bus beförderte, und er konnte auf der Fahrt die Landschaft bewundern, die Ochsen- und Eselskarren, die Lastwagen und die Karrenschieber, die sie überholten und in einer Staubwolke zurückließen. Doch plötzlich zuckte Huang zusammen, beugte sich vor und stieß Jian in den Rücken. »Wir müssen zurück!« rief er.
    »Warum?«
    »Ich habe in Dali ein Fahrrad geliehen und muß es zurückbringen.«
    »Es ist keinen Gedanken wert, Herr Huang. Es ist weg, und der Verleiher wird Sie höchstens verfluchen. Aber Sie hören es ja nicht.«
    »Er wird mich nicht verfluchen! Ich habe eine Leihgebühr bezahlt, die dreimal so hoch ist, wie das Rad wert ist. Er wird sich die Hände reiben vor Vergnügen.«
    »Wieviel haben Sie bezahlt?«
    »Fünfzig gute Yuan. Wissen Sie, wieviel Geld das für einen armen Lehrer ist?«
    »Ich gebe Ihnen die fünfzig zurück, Herr Huang.«
    »Nein!« Huang lehnte sich wieder in die Polster zurück. »Ich bin auf das Almosen eines Tong nicht angewiesen.«
    »Es war nur ein Vorschlag.«
    »Ein schlechter, der einer Beleidigung ähnlich ist.«
    »Ich bitte um Verzeihung. Nehmen Sie denn sie an?«
    Huang schwieg. Je näher sie der Kreuzung von Nanhua kamen, von der die Straße nach Dayao abzweigte, von der wiederum ein schmaler Weg in die Berge von Huili abbog, desto schwerer wurden seine Gedanken. Er fragte sich, wie sich Lida verhalten würde, wenn plötzlich Jian vor ihr stand, ob sie vor ihm weglief oder ob sie auf ihn zueilte und ihn umarmte, und wenn sie sich küßten, dann war das fast schon eine Verlobung, denn ein Dorf hat hundert Augen, und die Familie Huang war entehrt, wenn sie so etwas duldete, ohne Jian dem Dorf als den zukünftigen Schwiegersohn vorzustellen. In der Stadt mochte es anders sein, aber nicht auf dem Land und schon gar nicht bei den Miaos. In der Stadt sind die Sitten fast verfallen, und Huang erinnerte sich an einen Besuch seines Sohnes Tifei, der ihm von Kunming erzählte und – als Jinvan in den Stall ging, um ein Huhn zu fangen – blinzelnd berichtete, daß vor den großen Hotels abends die Huren standen und vor allem die Ausländer ansprachen und zehn Dollar nahmen, was in Yuan umgerechnet fast ein kleines Vermögen war – für eine halbe Stunde Arbeit vielleicht. Das war zwar offiziell verboten, aber wenn selbst Offiziere der Polizei und der Armee … Tifei hatte gelacht und dann mit der Zunge geschnalzt, als ob auch er davon eine Ahnung hätte.
    Die Stadt, dachte Huang und starrte Jian in den Nacken. Er ist ein Mensch aus der Stadt – hat er sich auch der Huren bedient? Und jetzt soll es Lida, meine Tochter, sein? Ich werde Jian töten müssen, wenn er Lida ein Leid antut. Die Ehre der Huangs ist ein Heiligtum, auch wenn sie arm und Miaos sind.
    Am späten Nachmittag sah Huang sein Dorf Huili am Berghang liegen, und es wurde ihm warm ums Herz, denn es war ein schönes Dorf, und er hatte großen Anteil daran, denn er erzog die Kinder in seiner Schule, die Heimat zu lieben wie ihre Familie.
    Sie kamen an einem Feld vorbei, das Huang gehörte, und Jian bremste so plötzlich, daß Huang nach vorn fiel und gegen die Lehne des Vordersitzes prallte.
    »Haben Sie etwas überfahren?« rief Huang. »Ich steige aus und nehme es mit.« Aber dann sah er, warum Jian gebremst hatte, und sein Herz schlug laut.
    Auf dem Feld zog ein Büffel einen Pflug durch die fette Erde, und hinter dem Pflug ging Lida, drückte den hölzernen Dorn in den Boden und trieb den Büffel mit einem langen Bambusstöckchen an.
    »Fahren Sie weiter!« sagte Huang zu Jian und wunderte sich, wie heiser seine Stimme klang.
    Aber Jian riß die Tür auf, sprang aus dem Auto, schrie und winkte, und da Lida ihn nicht zu hören schien, weil sie mit lauten Rufen ihren Büffel antrieb, lief Jian zum Ententeich hinunter und dann die Terrasse hinauf zum Feld, und auch Huang verließ den Wagen, sah hilflos zu und wunderte sich über sich selbst, denn Freude durchzog ihn und ein Gefühl von Glück.
    Er sah, wie Lida das Rufen Jians hörte, wie sie das Bambusstöckchen hinwarf, wie sie den Pflug losließ, wie der Büffel stehenblieb und den dicken Kopf hob, wie Lida auf Jian zulief und wie sie die Arme ausbreiteten und aufeinander zustürzten. Sie umfaßten einander, als sei die Welt versunken und sie die einzigen Lebenden.
    »Was soll man tun?« fragte Huang laut und blickte in den Abendhimmel hinauf. »Ich habe immer gewußt, daß es

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